2:30 Uhr klingelt der Wecker, viel zu früh. Schnell aufstehen, anziehen und noch eine Schüssel Vollkornnudeln essen. Ich will bei der heutigen Entfernung so viel Energie wie es nur geht haben. 3:00 Uhr aus dem Haus, ab zur S-Bahn, 15min später geht es los. In der S-Bahn versuche ich ein wenig Schlaf und Kraft zu tanken, was aber aufgrund meiner angetrunkenen Mitfahrer*innen kaum geht. Selbst das Sicherheitspersonal kommt und fragt, ob alles okay sei. Wenn die alle wüssten… 4:30 Uhr komme ich in Oranienburg an und mache mich startklar.

Getränke? Check! Nahrung? Check? Route geladen? Check! Los geht‘s.

Obwohl ich extra früh losfahre, ist es bereits jetzt schon sehr warm. Ich trage mein dünnstes Trikot, kein Unterhemd oder sonstiges, und dennoch schwitze ich nach 5 Minuten.

Ich fahre zum Kanal, wo sich der Horizont bereits rot orange färbt – gleich ist Sonnenaufgang. Die Strecke gibt mir direkt ein gutes Gefühl, denn ich bin auf dem Berlin-Kopenhagen-Radweg, auf dem ich vor knapp zwei Jahren auf meiner ersten Bikepackung Tour fuhr. Doch kurz darauf geht es nach links in den Wald – es ist Grevet Zeit, nicht Brevet!

Das Gefühl so früh loszufahren ist herrlich. Mit jedem Pedaltritt geht die Sonne weiter auf, ich schaue kaum auf den Weg, sondern auf die Felder und Wiesen, wo der Nebel in den ersten Sonnenstrahlen glitzert. Ich halte an, um ein Foto zu machen. Das hat sich aber nur so halb gelohnt. Das feucht-heiße Wetter gepaart mit meinem schon jetzt verschwitzten Körper heißt auch: Moskitos en masse. Für mein Foto zahle ich mir knapp 8 Stichen – hat sich’s gelohnt?

Weiter geht’s, ich möchte so viele Kilometer wie nur möglich machen, bevor die Hitze unerträglich wird. Es sind bereits fast 30 °C und es soll nur noch heißer werden. Zum Glück geht die Strecke überwiegend durch waldige, schattige Abschnitte und mit meinen 37mm Reifen rolle ich gut dahin. Da ich im Süden Berlins lebe, kenne ich diese Ecke eigentlich gar nicht, doch das muss sich ändern! Ich kriege von der Aussicht kaum genug und halte gefühlt alle 5 Minuten an, um ein Foto zu machen, entgegen meinem Plan, schnell voranzukommen. Aber: Das ist für mich kein Rennen, sondern ein kleines Abenteuer und ich möchte jedes noch so kleine Detail aufnehmen. Blöd ist dabei nur, dass ich irgendwie den ersten Checkpoint verpasse und auch nicht zu finden vermag. Genervt geht es weiter…

Entlang kleiner Dörfchen (ich würde am liebsten direkt umziehen), über sonnige Schotterwege und durch so zugewachsene Wege, dass ich die Strecke nur noch dank meines Garmins weiß, geht es voran, bis ich irgendwann am zweiten Checkpoint ankomme – den verfehle ich zum Glück nicht. Ich mag es, wenn es eine Aufgabe zu lösen gilt und es nicht nur um ein Foto geht. Hier muss ich das Wetter auf den „Alten Weidenweg“ bestimmen. Resultate um 7:45 Uhr: 29°C, Luftdruck liegt bei 1025 hPa/mbar und absolut kein Wind. Mir läuft der Schweiß in Strömen runter.

Motiviert durch das Abhaken der zweiten Aufgabe geht es für mich mit #Ketterechts weiter, ab in den Wald parallel zum Großen Stechlinsee. Das Wetter lädt ein, eine kleine Pause am Ufer zu machen, was ich mir nicht entgehen lasse. Muss ja schließlich auch regelmäßig Energie zu mir nehmen. Kurz nachdem ich wieder auf der Strecke bin, taucht neben mir ein hermetisch abgeriegelter Bereich auf, Stacheldrahtzaun inklusive. Mir dämmert, was sich da befindet. Radioaktives Material! Und tatsächlich, keine 10min später erstreckt sich vor mir das ehemalige AKW Rheinsberg. Was wohl mehr Watt produziert – das AKW oder ich auf meinem Gravelbike?!

Aus dem Wald heraus erspähe ich immer mehr blaue Flecken, Flüsse und Seen und am liebsten würde ich in jeden einzelnen reinspringen – so langsam wird es wärmer. In Kleinzerlang halte ich, um mich unter einer Pumpe abzukühlen und erkundige mich daraufhin an den Aushängen, wo genau ich eigentlich bin. Und da dämmert es mir, ich hatte es total vergessen – ich befinde mich in der Mecklenburgischen Seenplatte. Dieses Fleckchen in Deutschland gehört für mich zu den schönsten Regionen, die ich (bisher) kenne und ich weiß wieder, wieso. See an See, kleines Örtchen an kleines Örtchen, Gravel Genuss über Gravel Genuss. Ich habe richtig Bock, weiterzumachen!

Die Landschaft, die danach kommt, spricht für sich selbst. Ich begegne kaum Menschen und genieße die ruhige Natur, nur manchmal unterbrochen von meinem lauten Fluchen, wenn ich aufgrund meiner fehlenden Aufmerksamkeit falsch abbiege und es erst nach ein paar hundert Metern merke.

Es ist jetzt fast 11:00 Uhr und meine Wasservorräte neigen sich dem Ende. Auf den Friedhöfen, die ich unterwegs finde, ist unmissverständlich ausgeschrieben: „Kein Trinkwasser.“ Verdammt! Aber noch reicht es und die Strecke im Wald entlang des Wassers bringt die nötige Abkühlung. Während ich so im Müritz Nationalpark dahinrolle, heißt es auf einmal „Rechts abbiegen!“ Ein Blick auf die bisher zurückgelegte Strecke lässt nur eine logische Schlussfolgerung zu: der nächste Checkpoint. Jetzt folgt der vielleicht „längste Anstieg“ des Dritten Grevets – hoch zum Käflingsberg. Noch verschwitzter als vorher (wann hört es auf ?!) komme ich oben an, nur um festzustellen, dass ich jetzt noch ein paar hundert Treppenstufen erklimmen „muss“, um die Aufgabe zu meistern. Ich nehme mir meine Zeit, das Geländer ist auch schon heiß dank der Sonneneinstrahlung. Doch der Aufstieg lohnt sich – grüne Wälder und blaue Seen so weit das Auge reicht – und am Horizont lässt sich Waren ausmachen, mein nächstes Ziel.

 Doch erstmal wieder den Turm runter und runter vom „Berg“. Nach der kleinen Abfahrt pushe ich weiter, bis ich in Speck (Top Ten Ortsnamen?!) einen kleinen Imbiss passiere. „Eine große Apfelschimmel Apfelschorle bitte!“ Am Nachbartisch tauschen sich Gäste darüber aus, dass das Besteigen eben jenes Aussichtsturmes, wo ich eben noch stand, „verrückt sei“, die Leute mit ihren Mountainbikes im Wald „nur heizen und nichts von der Natur mitbekämen“ und dass es mit Elektrorad und sachten Tempo „sowieso viel schöner“ sei. Ich habe da meine Zweifel, aber begnüge mich lieber mit meiner Apfelschorle. Ich fülle noch schnell meine Flaschen am Waschbecken auf, dann geht’s in Richtung Waren.

Die Strecke wird undankbarer. Weniger Wald, offenere Flächen mit sandigen Abschnitten und die Sonne steht im Zenit. Ich möchte mich nicht zu sehr verausgaben, gemäßigt fahren, aber gleichzeitig brennt mir die Sonne im Nacken. Eine Dreiviertelstunde brauche ich letztlich, um Waren zu erreichen. Wieder kommen Erinnerungen an meine Fahrradtour vor zwei Jahren hoch. Da ist etwa das Restaurant mit dem All You Can Eat Buffet am Hafen, wo ich aß, bis ich platzte. Auch jetzt ruft ein wenig der Hunger und ich bestelle mir ein Fischbrötchen samt einer Apfelschorle. Die nette Verkäuferin erzählt, dass bereits drei andere Fahrer*innen in den letzten Tagen bei ihr vorbeikamen und hört interessiert über den Grevet zu. Vielleicht ist sie ja auch eine Anwärterin für das kommende Jahr!

Nach einem Bissen in das Fischbrötchen frage ich mich aber, ob das so eine gute Idee war. Zwiebeln, eingelegter Fisch und das bei jetzt +33 °C. Schweren Herzens höre ich auf zu Essen, denn ich befürchte, mein Magen würde das nicht aushalten.

Jetzt habe ich etwa die Hälfte geschafft, aber es schon später, als ich im Vorfeld dachte. Im Schatten mit der Apfelschorle lässt es sich am Hafen gut aushalten, sodass es 14:00 Uhr ist, als ich wieder mein Rad besteige. Shit! Jetzt müssen 8000 Watt her! Doch anfänglich werden mir ein paar Striche durch die Rechnung gemacht – andere Radfahrer*innen auf der Route erschweren das zügige Vorankommen, dazu die Hitze, die an mir nagt und am allerschlimmsten: Die unzähligen Scharen von kleinen Mücken, die sich in Wolken am Ufer aufhalten und mir in die Nase, Augen und den Mund fliegen.

Für die malerische Szenerie habe ich gerade etwas weniger übrig, zumindest halte ich seltener für Fotos an. Mir ist es wichtiger, zügig voranzukommen. Dennoch, die Landschaft entgeht mir nicht. Die Route ist herrlich gescoutet – ein Singletrail folgt auf eine Waldautobahn folgt auf folgt auf Schotterparadiese. Ich komme in meinen Tunnel und orientiere mich an 5km-Distanzen, die ich nacheinander bewältige – Schritt für Schritt, oder eher: Tritt um Tritt.

Mit der Hitze habe ich mich soweit arrangiert. Nun ist zwar schon Nachmittag, aber noch nicht viel kühler. Ich nutze jede Möglichkeit, um mich zu erfrischen und meine Wasserreserven aufzufüllen. An den kleinen See esse ich im Schatten meine Snacks, auf Friedhöfen finde ich die nötige Erfrischung und Anwohner*innen, die ich anspreche, füllen mir meine Flaschen auf – ohne all das wäre der Grevet für mich heute nicht möglich.

Cut – 19:00 in Rheinsberg. Ich kam die letzten Stunden gut voran. Ich weiß, dass der Endspurt ansteht. Nicht mehr lange…

Im örtlichen Lidl decke ich mich mit allem Nötigen für die letzte Attacke ein: Traubenzucker, Fruchtsaft, Vitaminwasser, ein Riegel.

Die Strecke verläuft jetzt relativ straight auf guten Untergrund und ich fahre konstant ’schnell‘. Das kam mir bereits beim letzten Mal so vor: Zum Ende hin werden die Wege weniger anspruchsvoll und schneller beziehungsweise leichter. Während ich mir auf der einen Seite denke, „Schade, weniger verschlungene Trails“, so ist diese Streckenführung für mich andererseits das Beste auf der Zielgeraden. Ich bin schon richtig durch und möchte endlich ankommen.

Fast 100km hat es gedauert, aber da bin ich auf einmal: Am letzten Checkpoint und lerne über den Geheimgang von Hoppenrade. Das Erreichen der letzten Aufgabe gibt mir einen ordentlichen Energieschub (oder kickt das Vitaminwasser rein?!) und ich gebe alles. Die Kulisse ist traumhaft – im Löwenberger Land zwischen Ären im goldenen Licht des Sonnenuntergangs.

Und… dann bin ich auch schon am Bahnhof Oranienburg. Auf den finalen Kilometern fühlte ich mich wie beim Zeitfahren – was es ja auch irgendwie war, zumindest gegen die S-Bahn. Hier sitze ich, dreckig, verschwitzt, müde – und stolz auf mich selbst, erstaunt von meiner Leistung.

Ich habe das Glück, dass ich das Ticket für alle 4 Grevets gewann. Vor der ersten Tour dachte ich mir: „Okay, 150km, das wird hart im Gelände, aber das schaffst du.“ Meine bis dato längste Tour waren 160km mit dem Rennrad, vor zwei Jahren etwa. Dann stand schon Grevet Nr. 2 vor der Tür. „Hey, nur 40km mehr als das letzte Mal! Mit noch mehr Nahrung klappt das sicherlich.“ Und obgleich es auch schwer war, klappte es. Der dritte Grevet flößte mir aber gehörig Angst ein. Nochmal knapp 100km mehr als das letzte Mal?! Unmöglich, das schaffe ich niemals. Ich überlegte hin und her, ob ich es wirklich probieren soll, ob ich nicht lieber zur Sicherheit einen Schlafsack mitnehme. Aber der Ehrgeiz in mir war geweckt. Wenn ich mich gut darauf vorbereite und mental sowie physisch fit bin, dann sind auch 280km (gerade so) im Bereich des Möglichen.

Die Grevets haben mir nicht nur neue Seiten Deutschlands gezeigt, sondern auch von mir selbst. Für manch eine*n mag das übertrieben klingen, aber ich wuchs durch die Touren über mich selbst hinaus und entwickelte Lust auf mehr.

Als nächstes steht der letzte Grevet mit über 375km an, das Grande Finale. Traue ich mich? Werde ich’s schaffen? Wie sieht es bei euch aus? Ich gebe zu: Wenn ich dreihundertfünfundsiebzig Kilometer lese, wird mir etwas flau…

Kommentare

One response

  1. Wow. Großartige Fotos! Ich habe noch nie auf nem Rennrad gesessen…meine längste Trekking-Bike-Tour ever: schnöde 60km an einem Tag…25 Jahre her…
    Nach deinen Bildern und deiner Geschichte…das macht echt Lust, es einfach selber zu erleben.
    ..one day …:-)

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