Vier Grevets sind in den Papyrusrollen – schön war’s!
Das Grevet #4 ist vorüber und hat das Quartett des Gravel-Epos in 4 Akten für 2021 beschlossen. Bereits in seiner ersten Saison wurden große Taten in die Papyrusrollen der Geschichte gebannt. Um in den Gravel-Olymp einziehen zu können, müssen alle vier Grevets erfolgreich absolviert werden.
Die Serie hat viele Fahrer:innen in Berlin/Brandenburg wie Sachsen erreicht und das Ziel auch Gravel-Noviz:innen abzuholen vollends erfüllt. Zahlreiche Zuschriften lobten die abwechslungsreiche und sich stets steigernde Herausforderung der Strecken, die Vielfalt an kuriosen (Foto-)Geschichten der Checkpoints und das entstandene Gemeinschaftsgefühl trotz vorrangiger Solo-Aktivität. Haben einige zu Beginn sich mit dem Grevet #1 zufrieden geben wollen konnten wir viele Gravelleur:innen bis zur #3 oder gar #4 weiterhin begleiten und die Entwicklung und Vorfreude auf weitere Abenteuer aus euren Aktivitäten herauslesen. Wir sind stolz Euch alle dabei gehabt zu haben!
Grevet, ein Kompositum aus Gravel und Brevet, ist Radsport im ursprünglichsten Sinne. Das Entdecken von geografischen Grenzen, das Erspüren von physischen Grenzen, das Entsinnen und die Reduktion auf das Wesentliche: sein im hier und jetzt, das Trimmen von Mensch und Material. So bunt und vielfältig die Charaktere und Gipfelstürmer der Grevets so grenzenlos war auch das Repertoire der gerittenen Streitwagen: vom 8 kg Carbon-Racer mit Minimalgepäck über selbstgeschweißte Stahlrösser und Ledertaschen vergangener Zeiten, vom MTB hardtail bis zum Fatbike “super duty” und vollem Bikepacking-Equipment, vom Randonneur-Gefährt auf 32mm-Slicks (mutig!) bis zum Abenteuerbike der 90er Jahre. Edel!
Der Einzug in den Olymp: Berichte aus dem Fahrer:innenlager zum Grevet #4
Als erster Olympionik überquerte unseres Wissens nach Scott Krause die Ziellinie. Er benötigte für die Berliner Tour nach Sibirien lediglich 24 Stunden, 54 Minuten und 2 Sekunden. Chapeau! Die Durchschnittsgeschwindigkeit lag bei 21.0km/h und es waren im Anschluss 9,879 Kalorien zu ersetzen. Guten Hunger wünscht das Grevet Team! Scotts Fazit nach einer Mütze Schlaf: „eine wunderschöne Strecke durch Landschaften mit teils eigenwilligen Charme.” Einen besonderen Punkt auf der Strecke entdeckte der Connaisseur außerdem mit dem Friedhof Zehrendorf. “Mitten in den märkischen Wäldern zeigen sich eindrücklich koloniale Verstrickungen. Hier ruhen in Kriegsgefangenschaft Verstorbene aus dem 1. Weltkrieg, darunter auch Dutzende vom Subkontinent”.
Drei Stunden länger unterwegs, aber mehr oder weniger gleichzeitig mit Scott im Ziel war André. A. Er ging nach eigener Aussage “mental unvorbereitet, voller Zweifel und körperlich nur halb anwesend”, sowie insgesamt “mit einem riesen Respekt vor dem letzten der 4 Berliner Grevets in die Herausforderung.” Beim Fahren soll er des öfteren Flüche und Verwünschungen ausgestoßen haben. Letztlich erwies sich dies aber wohl als effiziente Strategie, um seinen Seelenfrieden über die knapp 380 Kilometer hinwegzuretten, denn auch er konnte ohne längere Pausen durchdieseln. Wir gratulieren! Vielleicht sollte man allen Starter:innen empfehlen einfach mehr zu fluchen?
Norman Lorsch war zwar wie gewohnt sehr schnell unterwegs (der Gesamtschnitt pendelte sich auf ca. 25 km/h ein), kam dafür aber nicht um eine längere Biwak-Pause zur Regeneration herum. Er ging daher als dritter durchs Ziel. Eigentlich dürfte er die Landschaft bei seiner Geschwindigkeit nur noch strichförmig wahrzunehmen gewesen sein, aber Norman hatte dennoch einen Blick für die “extrem schöne Route”. […] Hat sehr viel Spass gemacht, technisch abwechslungsreich und viele Versorgungsmöglichkeiten. Danke! Danke! Danke!”
Annika wollte den vierten Grevet in Dresden eigentlich als Overnighter fahren und hatte Isomatte und Schlafsack eingepackt. Los gings früh 5:00 Uhr. “Da sich die Beine aber super angefühlt haben, bin ich die Strecke doch an einem Stück gefahren. Nicht nur längste Graveltour, sonder überhaupt meine längste Radtour ever”. Die “Strecke ist zu 95% ein Traum”. Für Annika stellte sich besonders das Osterzgebirge als “Gravelparadies” heraus. Als frisch gebackene Olympionikin kann sie nun nun Ruhe beurteilen, ob der Kalkstein-Olymp in Griechenland mit dem Kristallin-Paradies im Erzgebirge mithalten kann.
Marie und Steffi mussten den vierten Dresdner Gevet im Erzgebirge unterdessen abbrechen, da ihnen das Wetter und die geringe Sichtweite doch arg zu schaffen machten. Schade! Aber letztlich halb so schlimm, denn stattdessen gab es lecker Pommes und Deli-Burger. Auch fein!
Arne Roof von Schweinehundbikes ist in seinem Leben schon viel Rad gefahren. Aber “die letzte Tour war auf jeden Fall das krasseste, das ich eh auf dem Rad gemacht hab und insgesamt hat mir die ganze Veranstaltung wirklich den Sommer versüßt”. Wir hätten da sogar noch ne Idee für einen bitter-süßen Herbst!
Tobias Storz fährt eigentlich erst seit ca. drei Jahren ambitionierter Rad und ist seitdem regelmäßig bei bei den CXB-Veranstaltungen dabei. Das scheint offenkundig eine perfekte Grevet-Vorbereitung zu sein. Denn nun hat er aus dem Stand heraus direkt das Grevet-Quartett absolviert. Wahnsinn, dass er innerhalb solch einer relativ kurzen Zeit solch einen Sprung gemacht hat, uns nun sogar bereits knapp 400km Runden im Gelände locker fährt. Sein Statement: “es war wirklich herausfordernd und ich bin sehr daran gewachsen!”
Jan N. war in Berlin langsam aber stetig unterwegs und wurde daher recht bald vom Regen eingeholt. “Auf matschigen Feldwegen in Dämmerung bis Dunkelheit kam ich dann kaum noch voran und Antrieb/Bremsen kreischten vor Matsch.” Er entschied sich daher zu einer längeren Übernachtungsause in einer Bushaltestelle und kam dann erst spät am Abend des nächsten Tages wieder in Königs Wusterhausen an. Für dieses Jahr hat er erstmal keine Lust mehr auf Graveltouren über 200 Kilometer, aber wir vermuten, dass er nach seinem Erfolg Blut geleckt hat und nächstes Jahr wieder am Start steht… Langstrecken sind eben einfach ‘type two fun’.
Ausreisser Rafael hat einen Schlenker zum Aussichtspunkt des Tagebaus Welzow gemacht und war schockiert: “abartige Mondlandschaft, gruselig, wichtig zu sehen”. Für ihn war die Strecke insgesamt “eh geil, richtige ‘Gravel Autobahnen’, sodass ich mir manchmal schmalere Reifen wünschte.” Bei der Wasserversorgung hat er sich meist auf Friedhöfe verlassen – generell ein guter Tipp bei Langstrecken.
Tobias & Sebastian vom Team Laufwundr wünschten sich dagegen mitunter breitere Reifen und ein MTB – so unterschiedlich sind die Wahrnehmungen. Die beiden haben einige mystische Momente ihrer Tour fotografisch festgehalten. Bereits um 5.30 Uhr starteten sie in Königs Wusterhausen und hatten von Beginn an mit Regen zu kämpfen. Dann kam nach nur 30 km schon die erste von vielen Pannen und Wettergott Zeus ließ einen Blitz direkt neben den beiden einschlagen. Haben sie etwa im Vorfeld nicht genügend Opfer zu seinen Gunsten erbracht? Sie machten daher kurzerhand drei Stunden Pause und durften sich dafür am nächsten Tag an Sonnenschein pur erfreuen. Alles richtig gemacht! Am Ende tat ihnen der ganze Körper weh, der Gegenwind pustete und sehnsüchtig schielte man auf parallele Asphaltabschnitte. Dennoch blieb Team Laufwundr am Ende mit 36h und 386 Gravel Kilometern im Zeitlimit. Entgegen dem allgemeinen Trend wird aber nicht Grevet #2 oder #4, sondern tatsächlich Grevet #3 ihre Lieblingsstrecke bleiben.
Für Calle Engelhardt und Martin Tack a.k.a Gravel Gangsters bedeutete der Grevet #4 ‚einmal mit Alles‘. So war für die beiden eine Übernachtung an der Tagebaukante inkl., eine spektakulären Hornissenattacke und über den Zaun hüpfende Himmelenden in Brandenburg. „Hammer Scouting, grade die Ecke der Lausitz, feinste Sahne!“
Die Paris-Brest-Paris-Veteranen Kerstin Scholze und Stefan Bodenstein sind auch beim vierten Berliner Grevet wieder gemeinsam mit Kumpel Christian L. an den Start gegangen. Dabei waren für Stefan die Voraussetzungen alles andere als ideal und das Handicap gewaltig: da sich bei seinem Gravelrad die Tretlagerhülse gelockert hatte, musste er mit Titan-Rennrad und 32er Slicks antreten. Bei Trockenheit wäre das wohl noch ok gewesen, aber der Regen hatte den Waldboden in Südbrandenburg stark aufgelockert: “es war hart, verdammt hart mit 32mm Ultra Sport Reifen…” Dennoch hat das erfahrene Trio die Herausforderung erwartungsgemäß ohne Probleme und Schlafpause gemeistert. “es war sehr magisch durch den dunklen Wald zu radeln” resümiert Christian. Alle drei sahen jedenfalls noch sehr frisch aus, als wir ihnen bei einer morgendlichen Geheimkontrolle auf der Höhe von Cottbus entgegen kamen.
Roland Stoll wäre bei Grevet #3 noch fast an der Hitze gescheitert, konnte nun aber dennoch das Quartett meistern. Im Anschluss war er zwar vollkommen platt, hält aber dennoch fest “ich konnte trotzdem (fast) jeden Kilometer des 4. Berlin Grevet genießen! Es war sehr herausfordernd […] und hat mich wieder an Orte geführt, die ich so vielleicht nie entdeckt hätte – schon gar nicht mit dem Fahrrad!”
Max Kreienbaums Beine hatten “auch drei Tage später” noch was vom Grevet #4 in Berlin. Wo sonst bekommt man so viele Schmerzen für so wenig Geld? Vor allem wenn es trotzdem, so wie hier, auch noch “richtig Spaß” macht? Wir sind darauf gespannt ihn und Routenkumpel Chris Meidinger dann beim “ Social Grevet” auch persönlich kennenzulernen.
Chris Meidinger spricht gar von einer “glorreichen Strecke” und zieht ebenfalls das Fazit: “Die hat richtig Spaß gemacht”. Er plant nun die gesamte Serie nochmal antizyklisch zu fahren – allerdings mit einer Ausnahme. “1 bin ich bereits noch mal gefahren, bei #2 und #4 kommt es noch. #3 haben wir alle verdrängt und arbeiten dran es aus dem Gedächtnis endgültig zu verbannen.”
Auch Alexander Pläpp lies des Panorama der Tagebaufolgelandschaft nicht unbeeindruckt. Er fuhr zunächst durch bis Elsterwerda und hat dann dort übernachtet. Samstags hatte er dann mit technischen Problemen und einem Ungemach zu kämpfen, das viele Langstreckenfahrer nur zu gut kennen: Magenprobleme. Sein Verdacht ist, dass es an kalorienreichen Riegeln und seinen Sport-Brausetabletten gelegen haben könnte, die mit Kalium und Magnesium gemischt sind. Diese können in hohen Dosen abführend wirken.
Auch Uwe Horn hält fest: “Es war eine super Runde mit tollen Sachen, welche man entdecken konnte”.
Schwierigkeiten bereiteten manchen Starter:innen, dass die POIs nicht ganz da lagen, wo sie laut Track erwarteten. Tatsächlich sind die POI auf dem Oberrohr Patch nur etwas auf einen KM genau angegeben. Die Idee dahinter ist, dass Grandonneri:nnen eher mit offenen Augen durch die Gegend fahren sollen, als sich zu sehr auf technische Hilfsmittel zu verlassen. Denn eigentlich sind alle POIs direkt vom Streckenverlauf aus zu sehen. Ansonsten können die POIs technisch bedingt bestenfalls auf ca. 15m genau angelegt und auf Eurer Seite ebenfalls bestenfalls auch nur auf ca. 15m genau ausgelesen werden. Selbst unter allerbesten Bedingungen addieren sich die Toleranzen daher auf MINDESTENS 30m, aber es können durchaus auch mehrere hundert Meter werden.
Die Vorhölle. Berichte aus dem Fahrer:innenlager zum Grevet #3
Thilo Kaudella fühlte sich wirklich wie am Meer – wenn auch nicht immer wie gedacht: “viel Wasser und noch mehr Sand”. Hat ihm aber dennoch “wieder Spaß gemacht”. Leider konnte er die #4 nicht mehr absolvieren, da sämtliche Wochenenden in dem Zeitraum von #4 schon verplant waren.
Weidezäune erschienen während der Grevets immer mal wieder an Stellen, die die Scouts nicht erwartet hätten. Mit einem solchen hatte auch der Wuppi beim dritten Grevet zu kämpfen. “Leider hatte ich mich zunächst dazu entschieden, den Zaun rechtsseitig zu umfahren. Dort kam aber nach ca. 200 Metern von rechts ein weiterer Maschendrahtzaun, sodass ich mein Rad zwischen den beiden Zäunen hindurchschieben musste. Da die Gasse langsam schmaler wurde und irgendwann schlicht zu eng war, habe ich mich für den Rückzug entschieden. Nachdem ich mein Rad ein paar Meter rückwärts geschoben hatte, wollte ich es umdrehen, wobei ich aber an den Weidezaun gekommen bin. Der hat mir einen ordentlichen Schlag verpasst, wodurch ich mein Rad vor Schreck fallen lassen hab, welches sich natürlich ordentlich im Weidezaun verhakelte. Es hat mich knapp 20 Minuten und unzählige Stromschläge gekostet, bis ich das Rad endlich wieder befreit hatte, denn mit dem Maschendrahtzaun auf der gegenüberliegenden Seite war nur wenig Platz zum agieren. In dem Moment war mir zwar nicht zum Lachen, aber naja, ich habs überlebt”
Jan O.K. stellte unterdessen die ganz großen Sinnfragen. “Warum tue ich das? Warum an einem doch so entspannten Sommerwochenende 14 Stunden bei Sturzregen und Hagelschauern durch ein 280km langes Matschloch fahren? Ich denke, weil das CXB mir versprochen hat dafür in die Vorhölle zu kommen, oder? Vielen Dank dafür! Aber leider ist der Track kaputt 🤪”
Seinen Detailbericht in Stichwortern möchten wir Euch nicht vorenthalten:
“Also, es war ne Menge los:
– Wolkenbrüche und Hagelschauer (Hagel zumindest oben auf dem Aussichtsturm)
– andauernde Geruchsbelästigung aufgrund einer frühzeitigen Kotdurchfahrung
– MV war nur eine Linie für mich, der Karoo II wollte die Offline-map nach dem letzten Update lieber nicht darstellen, die kam ihm irgendwie komisch vor
– überdurchschnittliche Ernährungssituation, dank gelungener Salsiccia-Tomate-Reiskuchen und hervorragender Matjesbrötchen mit hausgemachter Remouladensauce
– letzterer Punkt wurde geschmälert durch eine ordentliche Portion Sand zwischen den Zähnen
– die blöde Holzkuh hat sich lang und erfolgreich vor mir versteckt
– äußerst unangenehme Geräuschkulisse durch plötzliche Abwesenheit jeglicher Schmiermittel, spontanen Rostbefall und mineralischem und organischem Fremdmaterial in allen beweglichen Teilen. Nicht mal ein geschnorrteds Motorradkettenspray konnte mittelfristig Abhilfe schaffen…
– Der Akku des Karoo ist erwartungsgemäß nach ein paar Stunden in die Knie gegangen. Im Sturzregen funktionierte der Ladeprozess aus der Powerbank leider nicht, entweder wegen des Kabels oder der allgemeinen Durchnässung. Nach „alle“ kam „aus“ und es folgten gefühlt einige Stunden Fluchen unterm Baum im Regen, der Karoo wäre um ein Haar dort geblieben…
– nachdem ich Gedanken an das warme Sofa zu Hause mit der Familie wieder verworfen hatte, habe ich mir mit einer rasend schnellen 56k Verbindung den Track auf mein Handy geladen und bin die nächsten paar Stunden mit KOMOOT auf dem Android weitergefahren, Das ging so gut, das ich den Karoo wirklich im Mecklenburger Wald hätte lassen sollen.
– als sich auch der Akku des Telefons dem Ende neigte, kam diese hervorragende 24h Tankstelle ins Visier, die trockene USB-C Kabel im Angebot hatte – und siehe da, damit konnte man sogar den Karoo wieder aufladen…
– zu Hause habe ich gemerkt: die diversen vergeblichen, Neustarts und Wiederbelebungsversuchen haben schlussendlich leider die Aufzeichnung des Tracks (erstes Drittel bis 0%) zerstört 🙁 Ich werde später versuchen diese noch zu retten.
Was lerne ich daraus?
– immer eine parallele komplett Aufzeichnung mit der Garmin-Uhr als back-up
– immer einen vorbereiteten Komoot Track auf dem Handy dabei haben (wie ich sonst eigentlich auch habe)
– Immer Zahnseide und Wäscheklammer mitnehmen”.
Mit den äußeren Umständen zu kämpfen hatte auch Alexander Pläpp. Schließlich ist Sandenburg eine weitläufige Wüstenlandschaft mit wenigen Oasen! So für ihn die “größte Herausforderung neben der langen Strecke […] die Hitze. Ich habe bestimmt mindestens 12 Liter getrunken eher mehr.” Trotzdem findet auch Alexander, dass es eine „schöne Strecke” war.
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