Wenn man auf dem Rad unterwegs ist, verliert Zeit an Bedeutung – und manchmal auch Raum. Dann wird aus einer Zahl auf der Karte ein Abenteuer, aus einem Strich ein Pfad voller Geschichten. Ob entlang des Limes in Bayern, durch die weiten Deichlandschaften Brandenburgs, vorbei an Fossilienfeldern im Weinviertel, über historische Postrouten im Erzgebirge oder quer durch den Thüringer Wald – überall spürt man: Graveln ist mehr als Radfahren. Es ist ein sanfter Widerstand gegen das Vergessen, ein rhythmisches Näherkommen an die Landschaft – und oft auch an sich selbst.
Die folgenden Berichte erzählen von Wind und Wetter, müden Beinen, staubigem Schotter und großem Gemeinschaftsgeist. Sie handeln von Menschen, die sich aufs Rad setzen, um draußen zu sein. Und davon, dass selbst in der Stille der Waldwege oder der Weite leerer Felder das Abenteuer laut genug spricht.
Bayern: Grenzlinien und Hopfenfelder – Auf den Spuren des Limes. Ein Ritt durch Römergeschichte, Hopfenlandschaft und zähe Anstiege
So richtig beginnt das Abenteuer ja erst, wenn man sich an die Grenze der Zivilisation begibt. Und irgendwie sollte der Limes der Römer, dessen Überreste wir auf dieser Tour immer wieder sahen, genau das einmal gewesen sein. Aber der Reihe nach.
Am Morgen des 10. Mai trafen sich 15 abenteuerlustige Radelnde am Bahnhof Rohrbach. Schon auf der Bahnfahrt oder auf dem Parkplatz davor wurde fröhlich geratscht – viele kannten sich vom ersten Ritt oder erkannten sich schnell. Ein gelungener Start in den Tag.
Im Gegensatz zur kürzeren ersten Strecke bestach diese Tour durch stark wechselnde Landschaften. Auf den ersten 40 Kilometern fuhr die Gruppe noch recht geschlossen durch offene Flächen und Hopfenfelder. Mit dichter werdenden Wäldern kamen die ersten Anstiege, die Gruppe zog sich auseinander. Bei der Konditorei Bauer in Kipfenberg traf man sich wieder – ein Tisch, viele Gesichter, entspannter Austausch.
Weiter ging’s: ein Anstieg, ein Römerturm, dann entlang der Anlauter durch ein idyllisches Tal. Links und rechts bewaldete Hänge – perfekt, um sich unterwegs in Grüppchen auszutauschen. Nach ein paar Höhenmetern im Wald landeten wir in Pappenheim – ja, genau, dort, wo die sprichwörtlichen Pappenheimer herkommen. Dann weiter entlang der Altmühl Richtung Ziel.
Bei Altendorf bestaunten wir den Archaeopteryx – und erklommen den fiesesten Anstieg des Tages, der mehrmals das Ende vorgaukelte, nur um dann noch ein paar Höhenmeter draufzulegen.
Ab Egweil verriet die Landschaft mit ihren Agrarflächen, dass Ingolstadt nicht mehr fern war. Hier hieß es noch einmal: Warten am Stoppschild – Segelflugzeuge haben auf dieser Wiese Vorfahrt.
Nach einem letzten Abschnitt durch das Unterholz östlich der Donau erreichten wir schließlich den Bahnhof in Ingolstadt. Alle waren glücklich, wenn auch sichtlich erschöpft. 180 km – das zieht sich am Ende doch. Aber: perfektes Wetter, tolle Stimmung. Vielen Dank an alle, die dabei waren!
Berlin: Stille Grenzen – Graveln zwischen Oder, Geschichte und Gegenwart. 200 Kilometer Weite, Waffeln und ein Moment jenseits der Zeit.
Mit dem zweiten Berliner Grevet 2025 erkundeten wir auf 200 Kilometern eine der stillsten Ecken Brandenburgs – bis hinein in den polnischen Nationalpark Warthemündung. Was auf dem Papier wie eine moderate Tour wirkte, wurde zu einem eindrucksvollen Erlebnis zwischen flachen Deichen, verlassenen Dörfern, historischen Spuren und schmalem Schotterband.
Der Social Grevet am 3. Mai – passend zum polnischen Verfassungstag – war voller Kontraste: weiß-rot beflaggte Ortschaften, geschlossene Gasthäuser, aber hilfsbereite Dorfsupermärkte, die uns mit Wasser und Waffeln versorgten.




Die Schaufelradfähre bei Güstebieser Loose war für viele ein Höhepunkt – fast lautlos glitten wir über die Oder. Wer zu spät kam, musste warten: Die Fähre fuhr nur stündlich, und nicht montags. Wer auf Nummer sicher ging, wählte die Europabrücke – ein Umweg, aber ein planbarer.
In Gozdowice besuchten wir das Museum der Pioniertruppen der 1. Polnischen Armee – zumindest von außen. Ein Ort, der von einem der letzten großen militärischen Flussübertritte Europas erzählt. Damals Pontons und Panzer, heute Picknick und Pause. Ein leiser Moment mit starker Wirkung.
Die Strecke war überraschend gut fahrbar: wenig Sand, etwas Pflaster, viel rollender Kies und kaum Verkehr. In der Weite östlich der Oder verlor man schnell jedes Zeitgefühl. Nur der Wind und das Rufen der Kraniche begleiteten uns. Die Rückfahrt hatte es nochmal in sich: Wegen Schienenersatzverkehr zwischen Fürstenwalde und Erkner mussten die letzten 25 km zurück nach Berlin per Rad bewältigt werden. Nicht alle freute das – aber alle meisterten es.















Das Wetter? Ein Geschenk: milde Sonne, blauer Himmel, wenig Wind. Die Stimmung? Ruhig, konzentriert, herzlich. Wer die Herausforderung angenommen hatte, wurde belohnt – mit stillen Momenten, rollenden Kilometern und dem Gefühl, wirklich draußen zu sein.


Wien: Extinction Ride – Fossilien, Förderpumpen und Hitzeflucht. Eine Tour durch das Weinviertel, die mehr Staub als Romantik bot.
Was sich als gemütliche Graveltour durchs sanfte Weinviertel ankündigte, entpuppte sich bei „Grevet: Extinction“ schnell als radelnder Überlebensritt durch Staub, Wind und Durst.

Vom Startpunkt in Wolkersdorf ging es zunächst gemächlich durch hügelige Weinberge. Doch schon nach wenigen Kilometern ragten die ersten Ölpumpen aus dem Boden – Mitteleuropas größtes Erdölfördergebiet. Der Asphalt wich feinem „Champaign-Gravel“, der bei über 30 Grad zur heißen Herausforderung wurde. Schatten? Fehlanzeige.
Die slowakische Grenze zur Rechten war wegen Seuchenschutzmaßnahmen unpassierbar. Am zweiten Checkpoint trafen verlassene Ölbohrtürme auf einen aus der Zeit gefallenen Bahnhof – Fortschritt geht nicht nur in eine Richtung.



Das idyllische Weinviertel zeigte sich versorgungstechnisch eher herausfordernd. Mit Hitze und Durst kämpfend, wurde jeder Supermarkt zum Glücksfall. Ab Checkpoint 3 sorgte ein kurzer Schauer für Abkühlung – und die Checkpoint-Themen wechselten zu historischen Ausgrabungen. Wer wird wohl uns ausgraben, wenn wir nicht bald aufhören, Öl statt Kalorien zu verbrennen?
Die eigentliche Dramatik dieser Tour lag in ihrer Symbolik: Zwischen Fossilienfeldern, uralten Bäumen im Ernstbrunner Wald und versteinerten Muschelbänken wurde klar, wie eng unser Dasein mit früheren Auslöschungen verwoben ist.


Sachsen: Zwischen Postsäulen und Platzregen – Ein Abenteuer durchs Osterzgebirge. 160 Kilometer voller Wetterlaunen, Rätsel und tschechischem Cola-Charme.
15 motivierte Fahrer:innen machten sich auf den Weg zur Posttour – Grevet #2 in Sachsen. 160 Kilometer von Dresden durchs Osterzgebirge bis zum Mückentürmchen und zurück. Es gab alles, was das Gravel-Herz begehrt: knackige Anstiege, schmale Trails, historische Postrouten. Und: launisches Wetter.
Was sonnig begann, verwandelte sich bald in Regen und Gewitter – echte Herausforderung. Die historischen Postsäulen an den Checkpoints boten kleine Rätsel. Am Mückentürmchen gab’s Kofola – eine tschechische Cola-Alternative, die für Gesprächsstoff sorgte.
Eine Fahrerin genoss die Natur und ließ einen Trail aus – Kühe am Wegesrand zauberten ihr ein Lächeln ins Gesicht. Ein anderer Fahrer berichtete von einer wilden, nassen Rückfahrt mit Energienachschub per Maltodextrin. Ein dritter testete sein Race-Setup, startete später, raste über Petrovice und kam am Blauen Wunder an.
Ob durchnässt oder vorzeitig abgebrochen – jede Entscheidung war richtig. Dieses Grevet zeigte wieder: Es geht ums Durchhalten, ums Erleben – und um Gemeinschaft.
Thüringen: Der Klassiker – Rennsteig, Ringwellen und Rennkilometer. Gravel pur auf 212 km Wald, Wasser und Wiederkehr.




Grevet #2 in Thüringen begann ruhig – an der Selbitz in Blankenstein, dem Startpunkt des Rennsteigs. Doch so sanft der Fluss, so fordernd der Weg: 212 Kilometer Gravel quer durch den Thüringer Wald. Ein Klassiker.
Mit dem ersten Checkpoint am gefluteten Staatsbruch Lehesten wurde klar: Hier wartet mehr als nur Strecke – hier wartet Geschichte. Dann: die Werraquelle. Bei bestem Wetter ein echter Genuss.
Es folgte die kleine Schanzentournee. Kein Springen, aber viel Steigen. Die Schatten der Bäume halfen gegen die Hitze, aber Getränke waren Pflicht. Der symbolische kleine Stein reiste mit – bis zur Werra bei Hörschel.
Nach 207 Kilometern: Ankunft. Ein wehmütiger Blick auf die Ringe im Wasser, dann weiter nach Eisenach. Der Rennsteig ist kein typisches Grevet – er ist ein One-Way ins eigene Abenteuer. Und jedes Jahr wieder ein Muss.
No responses yet