Kein Rennen. Kein Empfang. Kein kleiner Gang. Eine Fahrt gegen die Richtung – und mit jeder Menge Gegenwind.

422 Kilometer. 32 Stunden. 1 Gang. 0 Prozent Akku.
Ein Bericht von Thorben – über Geografie, Geräusche und das große Ganze.

Von Schildkröten, Teichen und tieferem Atmen

Morgens Berlin, 8:00 Uhr. Berufsverkehr und Frühstücksmüdigkeit. Der Schlosspark Niederschönhausen liegt ruhig da – wie ein Echo aus einer anderen Zeit. Eine Schildkröte aus Bronze wartet. Ich muss sie suchen, finde sie, fotografiere sie. Dann: Start.

Die Stadt verliert sich schnell. Karower Teiche, Buch, Kiefernwald. Wellig und fast verspielt. Ein satter Atemzug nach Wochen voller Schreibtisch. Ich fahre nicht – ich tauche ab.

Geschichte trifft Gegenwart

Oranienburg bleibt links liegen, Sachsenhausen nicht. Ich halte. Nicht lange, aber lang genug. Dann wieder Bewegung. Durch „Verlorenort“ (wirklich!) nach Neuruppin – Döner, Cola, Ayran. Einschlafen am Imbisstisch. Aufwachen, weil jemand das Pfand will. Kontrolle: Rad noch da? Ja. Weiter.

100 Kilometer. Theodor Fontane. Selfie. Eine Autobahnunterführung wie ein Portal: raus aus der Hauptstadtgeschichte, rein in die norddeutsche Weite.

Technik gegen Zeit

Irgendwo zwischen Kyritz und Perleberg: Tropfen in die Ladebuchse. Das Telefon gibt auf. Ich ignoriere es – vielleicht ist das ohnehin besser so. Die nächsten Stunden fahre ich ohne Daten, aber mit Gespür. Alles fließt. Bis Perleberg. Eis, Cola. Dann weiter.

Die Brücke, die nicht wollte

Wittenberge im Abendlicht. Eigentlich die Mitte der Strecke – aber heute ein Kapitel für sich. Die Bahnbrücke ist gesperrt. Umleitung über die B189. Eine schmale Treppe führt hinauf. Ich wuchte das Rad über die Leitplanke. Der Verkehr? Erträglich. Der Sonnenuntergang: golden. Der Moment: still.

Danach: Baustelle. Sand. Kein Weg, nur Richtung. Ich schiebe, lache, leide. Komme an. Am Südufer der Elbe. Kilometer 240.

In der Nacht am Grünen Band

23:05 Uhr. Ich finde eine Hütte – perfekt. Trocken, windgeschützt. Ich lege mich hin, durchgeschwitzt und aufgeweicht. Das Einschlafen dauert, aber irgendwann klappt es.

Um 4:00 Uhr wache ich auf. Nass, kalt, bereit. Ich ziehe mich an. Zwei Bikepacker sausen vorbei. Kein Gespräch, nur Lichtkegel in der Morgendämmerung.

Wenn Technik aufhört

Dann passiert es. Die Schaltung streikt. Di2 tot. Kein kleiner Gang mehr. Ich fahre weiter – mit 48–23. Keine Ahnung, wie das klappen soll. Aber ich weiß: Ich werde es versuchen.

Gorleben. Beluga-Schiff. Haaßel. Die Königsgräber liegen still im Gras. Mein Akku ist leer – kein Foto. Aber ich halte kurz inne und fahre weiter.

Kanal, Schlauch, Endspurt

Am Kanal: pumpen, pumpen, pumpen. Ich verliere zu viel Zeit. Schlauch rein, Mückenstiche kassieren, fluchen. Fertig. Weiter.

Kurz vor Hamburg: eine Tankstelle. Eis, Vanillemilch, Hochgefühl. Doch dann ein Trailabschnitt am Elbufer. Für Singlespeed? Puh. Ich schiebe wieder.

Berliner Tor

Hamburg. Ziel. Samstag, 16:00 Uhr. Kein Zielfoto, kein Empfang. Nur ich und die 422 Kilometer in den Beinen.

Fazit

„Ich bin diese Strecke oft gefahren – aber heute habe ich sie zum ersten Mal wirklich gesehen. Habe ganz viel Neues entdeckt, es hat sich gelohnt“ Thorben

Nicht das Tempo entscheidet, nicht die Technik. Sondern die Fähigkeit, sich einzulassen – auf Sand, auf Stille, auf sich selbst. Wer gegen die Richtung fährt, entdeckt neue Perspektiven. Und manchmal sich selbst.

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