Vorwort

Diese Seite bündelt erstmals die zentralen Originalberichte zur Distanzradfahrt Basel–Cleve (1894) – die Augenzeugen-Texte von Oswald Grüttner, Bernhard Killinger, W. Schweinsmann, Arthur Guthknecht, P. Mündner u. a., dazu die offiziellen Ergebnislisten und Nachklänge aus dem Radfahr-Humor und dem Neuen Münchener Tagblatt. Wir lassen die Fahrer selbst sprechen, behalten ihre Sprache, ihren Rhythmus, ihre Orthographie. Kein Nachpolieren, keine Romantisierung: so klang das damals, so fuhr man wirklich.

Warum das hier? Weil die Fahrt Basel–Cleve das deutsche Langstreckenradfahren in eine neue Dimension brachte – 620 km quer durch den Westen, vom Oberrhein bis an den Niederrhein. Sie war der Beweis, dass das „Fernfahren“ nicht nur den Alpen vorbehalten war, sondern auch auf heimischem Terrain eine echte Prüfung sein konnte: Wind, Nacht, Hunger, Müdigkeit, Kopf.

Die Texte zeigen, was 1894 Radfahren bedeutete: 27 bis 35 Stunden auf Schotter, Lehm und Pflaster, ohne Licht, ohne Federgabel, mit starrem Gang und offenen Laternen. Man aß, was sich fand – Suppe, Brot, Wein, Selters, Eier – und fuhr weiter. Man fiel, stand wieder auf, schob, fluchte, fuhr weiter. Wer ankam, hatte nicht gewonnen, sondern überlebt.

Und doch klingt in allem ein stolzer, trockener Pragmatismus: keine Pathosformeln, kein Heldentum, sondern nüchterne Aufzeichnung. Die Distanz war das Maß aller Dinge. Es zählte nicht das Publikum, nicht die Pose, sondern das Ankommen.

Wer diese Quellen liest, erkennt Parallelen zu heute: dieselbe Konzentration auf das Nötigste, dieselbe Einsamkeit auf langen Geraden, dieselbe mentale Enge zwischen Nacht und Morgen. Nur die Mittel haben sich geändert. 1894: Kerzenlaternen, Stahlrahmen, Wolle, Wein. Heute: LEDs, Carbon, Membran, Gels. Doch die Grundkonstante bleibt: Mensch gegen Strecke, Wille gegen Zeit.

Gerade deshalb lohnt das Lesen. Basel–Cleve ist keine Fußnote, sondern Fundament: eine frühe, präzise Dokumentation des Radfahrens als Ausdauersport – realistisch, widersprüchlich, körperlich. In der Mischung aus Pathosfreiheit, Materialversagen und Übermut liegt ihr Reiz.

Was ihr in den Texten bekommt:

  • Offizieller Bericht und Ergebnisliste: Wer fuhr, wer ankam, wer scheiterte. Das nüchterne Protokoll der 45 Starter, 21 Finisher.
  • Grüttner: Präziser, fast militärischer Bericht. Wind, Ochsenherde, Nachtfahrt – und das nüchterne Fazit.
  • Schweinsmann: Strukturiert, ruhig, technikorientiert – mit Blick auf Maschine und Körper.
  • Guthknecht: Reflektion eines verkaterten Kämpfers – Blutvergiftung, Sturz, Trotzdem-Fahrt.
  • Mündner u. a.: Frühes Beispiel für Markenpropaganda – Brennabor als Synonym für Zuverlässigkeit.
  • Killinger: Das Gegenteil von Pose – scharf beobachtet, witzig, ehrlich, zäh.
  • Zeitungsberichte: Offizielle Chronik und späte Nachspiele – von Opels Sieg bis zu Reheis’ Abenteuergeschichten.

Warum das zählt – auch heute:

  • Realistische Distanz: 620 km, flach, aber zäh – Wind als Gegner, Dunkelheit als Grenze.
  • Material vs. Mensch: 11–14 kg-Stahlräder, starre Übersetzungen, Laternenlicht. Trotzdem sub-28-Stunden-Zeiten.
  • Mythos und Streit: Opel als Wunderknabe, Reheis als Querulant, Gerüchte um Schrittmacher und Tandems – das alles war schon da, bevor es „Ultracycling“ hieß.
  • Historischer Resonanzraum: Diese Texte zeigen, dass Langstrecke kein neues Genre ist, sondern Kontinuität.

Kurz: Lest die Quellen, nehmt sie wörtlich. Basel–Cleve war kein Abenteuer für Poster, sondern eine Prüfung im wörtlichen Sinn. Die Fahrer fuhren, bis der Körper leer war – und genau darin liegt die Essenz des Distanzfahrens, damals wie heute.

Distanzfahrt Basel – Cleve

Zu den radsportlichen Veranstaltungen, denen in allen Kreisen ein immer regeres Interesse entgegengebracht wird, gehört vor allem die Fernfahrt Basel – Cleve, die gleichsam ein Gegenstück zu den Fernfahrten Wien – Berlin und Mailand – München bildet. Basel–Cleve ist durch die Terrainverhältnisse und die Länge der Strecke von jenen verschieden; während die Fernfahrt Wien–Berlin 582 km, Mailand–München 590 km lang waren, mußten diesmal 620 km durchfahren werden.

Bei den früheren Fernfahrten waren jedesmal größere Gebirge zu überwinden; bei Basel–Cleve war der Weg, abgesehen von der kleinen Erhebung Mainz–Finthen, ziemlich eben. Man hatte deshalb auch erwartet, daß diese Fernfahrt wesentlich rascher als die früheren gefahren werde. Es war jedoch nicht so: auf der Strecke von Straßburg bis Mainz herrschte ein so starker Gegenwind, daß die Fahrer sehr behindert wurden und einige sogar veranlaßt waren, die Fahrt aufzugeben.

Die Vorbereitungen für die Fahrt waren gut getroffen und für die Bequemlichkeit der Fahrer vorzüglich gesorgt. Über die ganze Strecke waren zusammen 59 Kontrollämter verteilt, denen Verpflegung, Bescheinigung, Schrittmacherdienst, Reparaturen usw. oblagen.

Die ausgesetzten Preise waren ansehnliche: der Sieger erhielt den Ehrenpreis des Kaisers, eine große goldene Medaille, ein Diplom und einen Ehrenpreis im Werte von 500 Mark. Der Zweite erhielt den Ehrenpreis der Stadt Cleve, eine goldene Medaille, Diplom und einen Ehrenpreis im Werte von 450 Mark. Die ersten zwölf Fahrer erhielten Preise; diejenigen, die innerhalb sechs Stunden nach dem Sieger eintrafen, erhielten silberne Medaillen und Diplome, diejenigen, die innerhalb neun Stunden eintrafen, Diplome.

Die zu durchfahrende Straße führte von Basel durch das linke Rheinthal über Straßburg, Speyer, Worms, Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Neuss, Xanten nach Cleve. Basel liegt 260 m, Mainz 80 m, Finthen 220 m und Cleve 16 m über dem Meeresspiegel.

Der Start erfolgte am Sonnabend früh 6 Uhr in drei Gruppen von je fünfzehn Fahrern; nach je zwei Minuten wurde eine Gruppe abgelassen. Isle und Bachmann – München sowie Stollenwer – Köln erschienen nicht. Das Rennen wurde gleich von Anfang an in scharfem Tempo gefahren.

In Straßburg stürzten viele Fahrer; Schlink – Berlin brach ohne Grund plötzlich mit seiner Maschine nieder, und über ihn stürzten sechs bis acht Fahrer, die teils gezwungen waren, die Fahrt aufzugeben, teils erst nach Reparatur der Schäden weiterfahren konnten.

In Speyer passierte als erster Fritz Opel – Frankfurt a. M. um 3 Uhr 25 Minuten, ihm folgte 3 Uhr 31 Sorge – Köln, 3 Uhr 44 Johow – Berlin und Guthknecht – Mülhausen, 4 Uhr 04 Grüttner – Berlin und Weiß – Nürnberg, 4 Uhr 06 Heine – Hannover, 4 Uhr 20 Gerger – Graz und Reheis – Wasserburg, 4 Uhr 35 Schweinsmann – Barmen, 4 Uhr 48 Mündner – Berlin.

Das wichtigste Kontrollamt war in Mainz, ungefähr in der Mitte der Fahrt gelegen. Hier mußten sämtliche Fahrer absteigen, um sich ihre Ankunftszeit bescheinigen zu lassen; alle Fahrer, mit Ausnahme Guthknechts, benutzten diese Gelegenheit, um zu baden, sich massieren, frische Kleider anziehen und sich mit einem kräftigen Imbiß stärken zu lassen.

Sorge fuhr nach 13 Minuten weiter; Gutknecht – Mülhausen traf um 7 Uhr 48 ein und fuhr sofort weiter. Dann trafen ein: Weiß – Nürnberg um 8 Uhr 16 (Abfahrt 8 Uhr 23); um 8 Uhr 20 Grüttner – Berlin (Abfahrt 8 Uhr 24); um 8 Uhr 35 Reheis – Wasserburg (Abfahrt 8 Uhr 57); um 9 Uhr 18 Köcher – Friedenau, Mündner – Berlin, Schweinsmann – Barmen und Heine – Hannover (Abfahrt 9 Uhr 50); um 9 Uhr 44 Johow – Berlin; um 10 Uhr 38 Jäckel – Magdeburg und Killinger – Höchst; um 10 Uhr 47 Rhoen – Aachen; um 11 Uhr 03 Thielo – Mülhausen i. Th., Tüngerthal – Mannheim, Sorg – Graz, Krämer – Brittgen und Schörringer – Frankenthal; um 11 Uhr 46 Meyer – Herten; um 12 Uhr 56 Joesten – Krefeld; um 1 Uhr 22 Koch – Magdeburg, Scheur – Völklingen, Gilfsdorf – London; um 1 Uhr 52 als die letzten Heys – Cleve und Metzger – Karlsruhe.

In Mainz haben sich somit 27 Fahrer gemeldet; die übrigen Fahrer hatten bis dahin aufgegeben.

Ankunftszeiten in Köln waren: 4 Uhr 24 Fritz Opel, 4 Uhr 24 Gutknecht, 4 Uhr 26 Sorge, 4 Uhr 51 Weiß, 5 Uhr 12 Grüttner, 6 Uhr 09 Reheis und Köcher, 6 Uhr 15 Heine, 6 Uhr 58 Mündner und Schweinsmann, 7 Uhr 40 Jäckel, 8 Uhr 03 Killinger, 8 Uhr 04 Kux, 8 Uhr 44 Johow, Rhoen, 8 Uhr 55 Sorg, Thüngerthal, 10 Uhr 08 Schörringer.

Als Erster passierte in Cleve das Ziel Fritz Opel – Frankfurt a. M. um 9 Uhr 52 Minuten; er brauchte für die 620 Kilometer 27 Stunden 50 Minuten. Als Zweiter folgte kurz nachher Gutknecht – Mülhausen um 9 Uhr 52½, als Dritter Weiß – Nürnberg um 10 Uhr 08, als Vierter Grüttner – Berlin um 10 Uhr 43.

Fritz Opel hat mit diesem Sieg seine ganze phänomenale Leistungsfähigkeit gezeigt. Er hat in seinem jugendlichen Alter von neunzehn Jahren eine That vollbracht, wie sie in den radsportlichen Annalen unerreicht dasteht. Er hat damit bewiesen, daß er nach vierzehntägigem Straßentraining in der Lage ist, sich an die Spitze der deutschen Straßenfahrer zu stellen.

Quelle: Neues Münchener Tagblatt, Nr. 263, Donnerstag, 20. September 1894, S. 430.

Neues Münchener Tagblatt: Nachklänge zur Distanzfahrt Basel–Cleve

Dem grossen Meisterschaftsfahrer Reheis von Wasserburg ist es bekanntlich auch bei der Distanzfahrt Basel–Cleve nicht geglückt, einen der ersten drei Preise zu erringen. Er gab deshalb im Wasserburger Moniteur eine grosse Erklärung ab, in welcher er dem Publikum alle möglichen Dinge und Unglücksfälle erzählt, die ihm bei dieser Distanzfahrt begegnet sein sollen.

Sämtliche Sportszeitungen ignorierten diese Ausführungen, und wir wären heute auch nicht mehr auf dieses Thema zurückgekommen, wenn Herr Reheis nicht neuerdings eine andere Version zum Besten gegeben hätte. Herr Reheis behauptet nämlich steif und fest, er sei in einem Gasthofe mit seiner Maschine gewaltsam zurückgehalten und eingesperrt worden, und er habe erst die Türe aussprengen müssen, um sich an der Fahrt beteiligen zu können.

Hätte man ihn nicht gewaltsam eingesperrt, wäre er zweifellos der Erste geworden. Es ist das eine noch viel schwerere Anklage gegen Dritte, die Reheis durch diese Behauptung erhebt, als die Beschuldigungen, die er seiner Zeit in der bekannten „Strickgeschichte“ bei der Distanzfahrt Mailand–München erhoben hat.

Damals musste es der Strick gewesen sein, heute ist es die Vergewaltigung. Es haben sich zwei Herren aus unserer Redaktion erboten, jederzeit eidlich erhärten zu wollen, dass Herr Reheis jene Behauptung (gewaltsam eingesperrt worden zu sein) mit aller Bestimmtheit aufgestellt hat.

Quelle: Neues Münchener Tagblatt, Nr. 301, Samstag, 27. Oktober 1894, Zweites Blatt, S. 7.

Bericht über die Festlichkeiten in Cleve

Der Clever Radfahrer-Club, den dritten der Emmericher Radfahrer-Verein, den vierten der Radfahrer-Verein Ruhrort und den fünften der Radfahrer-Verein »Vesalia« aus Wesel. Der Korsofahrt schloss sich unmittelbar die Preisverteilung im städtischen Schwanensaale an. Der schön dekorierte Saal, in dessen Hintergrund auf der Bühne, umgeben von Palmen und Lorbeeren, die Kaiserbüste prangte, war bald dicht gefüllt.

Den feierlichen Akt eröffnete Bürgermeister Broekmann mit einem Willkomm-Gruss an die fremden Gäste; Redner hob dann unter Hinweis auf den Kaiserpreis das grosse Interesse hervor, das unser allverehrtester Landesfürst dem schönen Radsport entgegenbringt, und schloss seine Worte mit einem Hoch auf Se. Majestät unseren Kaiser, das in den Kehlen der vielen Anwesenden brausenden Widerhall fand. Mit Begeisterung wurde die hierauf von der Kapelle intonierte Nationalhymne stehend von den Teilnehmern gesungen.

Nun begann die eigentliche Preisverteilung. Während der Vorsitzende des Gaues IV, Rheinland, die Namen der Sieger verkündete und die von ihnen gebrauchte Zeit bekanntgab, überreichte der zweite Vorsitzende des Deutschen Radfahrer-Bundes den Gefeierten die vom Bund gestifteten Medaillen. Die Übergabe des Kaiserpreises wie des Ehrenpreises der Stadt Cleve hatte unter feierlichen Ansprachen an die betreffenden Herren Bürgermeister Broekmann übernommen. Den Clever Damenpreis übergab Notar Schorn und den Ehrenpreis von A. Rogmans-Remmers Karl Eichhorn den betreffenden Distanzfahrern. Nachdem dann noch Otto Weber dem Komitee und der Stadt Cleve namens des Deutschen Radfahrer-Bundes seinen herzlichsten Dank für die warme und freundliche Aufnahme ausgesprochen und der Bürgermeister hierauf einige Worte erwidert hatte, fand diese Festlichkeit ihren Abschluss.

Das nun folgende offizielle Festessen im Hotel Holtzem erfreute sich einer sehr guten Beteiligung.

Eine ungeheure Zugkraft hatten die auf Montag nachmittags angesetzten Volksbelustigungen, wobei ein ganzer Ochse am Spiess gebraten werden sollte, auf das Publikum ausgeübt. Viele Tausende Schaulustiger hatten sich beim Schützenhause zusammengefunden, denn ein jeder wollte den Ochsen am Spiess schmoren sehen und, wenn eben möglich, auch davon kosten. So kam es, dass bereits zeitig der ganze Ochse, der – nebenbei bemerkt – tadellos gebraten, bis auf das letzte Stückchen Fleisch vollständig verzehrt war. Das Schlachten-Feuerwerk machte einen grossartigen Eindruck, und das nun folgende Festbankett nahm einen sehr schönen Verlauf. Während desselben fand die Übergabe der Preise an die aus der Korsofahrt siegreich hervorgegangenen Vereine statt.

Aber nicht allein diese sollten geehrt werden, nein, unsere Clever Damen, welche sich stets den fröhlichen Radlern hold erwiesen, hatten es sich nicht nehmen lassen, unsern Clever Distanzfahrer Gerh. Heys für seine Leistung zu ehren. Die schöne Bowle, welche dem Gefeierten namens der Clever Damen überreicht wurde, wird für ihn eine bleibende Erinnerung an die Distanzfahrt Basel-Cleve sein.

Gegen ein Uhr erscholl das Signal zum gemeinschaftlichen Aufbruch, und unter dem Voranmarsch der Musik ging’s der Stadt entgegen, wobei der Weg und die anstossenden Waldpartien vom Schützenhause bis zum Badhotel ständig unter bengalischer Beleuchtung gehalten wurden. Den Schluss bildete die Beleuchtung der Anlagen des Amphitheaters. Wie stets, so machte auch diesmal das Amphitheater, dieser von der Natur so sehr bevorzugte Punkt unseres Tiergartens, in bengalischer Beleuchtung einen feenhaften Eindruck auf die Zuschauer, namentlich auf die Fremden. Am Eingang des Tiergartens löste sich der Zug auf mit dem Radfahrer-Gruss »All Heil bis morgen«.

Zum Frühschoppen, welcher Dienstag früh 11 Uhr im Hotel-Restaurant Bollinger angesetzt war, versammelten sich die Festteilnehmer wieder sehr zahlreich. Bald herrschte hier eine recht fidele Stimmung, und wenn man sich schon gegen ein Uhr trennte, so hatte das seinen Grund darin, dass der grösste Teil der Anwesenden sich an dem auf 3 Uhr festgesetzten Ausflug zu beteiligen beabsichtigte und hierzu noch Vorbereitungen zu treffen waren. Während des Frühschoppens wurden photographische Aufnahmen von den noch anwesenden Preisträgern aus dem Distanzfahren gemacht.

Gegen 3 Uhr herrschte bereits in der Unterstadt wieder reges Leben und Treiben. Reiter zu Pferd und Rad sowie Wagen in grosser Anzahl sammelten sich vor dem Bundeshotel Verweyen und zogen in wohlgeordnetem Zuge zur Stadt hinein zur Besichtigung von Cleves nächster Umgebung. Mit dem abends auf dem Kermisdahl abgehaltenen Wasserkorso fanden die Feierlichkeiten ihren Abschluss.

Quelle: Radfahr-Humor, Nr. ?, 1894, S. 61 ff.

Offizielle Ergebnisliste der Distanzfahrt Basel–Cleve

Zur teilweisen Berichtigung und Ergänzung der in Nr. 102 vom 22. Sept. 1894, S. 2241, gebrachten Zusammenstellung folgt hier die offizielle Zusammenstellung des Ergebnisses dieser Fahrt.

Von den 45 in St. Ludwig abgelassenen Teilnehmern sind 21 am Ziele in Cleve eingetroffen, und zwar in folgender Reihenfolge:

Nr.Name und Wohnort des FahrersAnkunft am ZielGebrauchte Zeit
1Opel, Fritz, Rüsselsheim a. M.27 Std. 50 Min.
2Weiss, Herm., Nürnberg28 Std. 06 Min. 20 Sek.
3Guthknecht, A., Mülhausen i. E.28 Std. 39 Min. 00 Sek.
4Reheis, Max, Wasserburg29 Std. 25 Min. 30 Sek.
5Grüttner, Oswald, Berlin30 Std. 33 Min. 00 Sek.
6Mündner, Paul, Berlin30 Std. 33 Min. 30 Sek.
7Schweinsmann, W., Barmen30 Std. 33 Min. 35 Sek.
8Köcher, Alfred, Friedenau31 Std. 02 Min. 30 Sek.
9Heine, Franz, Hannover32 Std. 08 Min. 35 Sek.
10Jäckel, Walther, Magdeburg32 Std. 39 Min. 00 Sek.
11Rhoen, P., Aachen32 Std. 51 Min. 10 Sek.
12Johow, Wilhelm, Berlin33 Std. 23 Min. 20 Sek.
13Kux, Willy, Dortmund33 Std. 55 Min. 00 Sek.
14Killinger, Bernhard, Höchst a. M.32 Std. 18 Min. 15 Sek.
15Sorg, Eugen, Graz31 Std. 12 Min. 15 Sek.
16Tungerthal, Emil, Mannheim32 Std. 08 Min. 35 Sek.
17Heys, Gerh., Cleve32 Std. 35 Min. 50 Sek.
18Schörringer, M., Frankenthal32 Std. 51 Min. 10 Sek.
19Joesten, H., Crefeld33 Std. 23 Min. 20 Sek.
20Meyer, Jos., Herten i. W.34 Std. 09 Min. 00 Sek.
21Metzger, Sigm., Karlsruhe34 Std. 09 Min. 00 Sek.

Von diesen 21 am Ziel Cleve angekommenen erhielt der Erste den Ehrenpreis Seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II.: einen schweren silbernen, innen vergoldeten Becher mit Inschrift und die grosse goldene Medaille.

Der Zweite erhielt den Ehrenpreis der Stadt Cleve – eine wertvolle silberne Fruchtschale und eine goldene Medaille;
der Dritte den Ehrenpreis der Damen Cleves – einen prachtvollen silbernen Pokal und eine goldene Medaille.

Der Vierte eine goldene und der Fünfte, Sechste, Siebente und Achte je eine silberne und goldene Medaille; der Letztere ausserdem als erstangekommener Rheinländer das Ehrengeschenk A. Rogmans-Remmers, eine schön gearbeitete Radfahrer-Ehrenbowle.

Quelle: Radfahr-Humor, Nr. ?, 1894, S. 5 ff.

Oswald Grüttner: Von Basel nach Cleve

Trotzdem mir die Strecke von meiner 10 000 km-Fahrt her bis auf einen ganz kleinen Teil bekannt war, wollte ich mit Rücksicht auf die Vorschriften im Fahrtenbuche, welche die Konkurrenten zum Umfahren einiger Ortschaften auf ganz bestimmten Strassen nötigten, nicht unterlassen, eine nochmalige genaue Inspektion der Strecke vorzunehmen, und fand mich daher eine Woche vor dem Starttage in Cleve ein. Schon in Xanten fand ich Gesellschaft, und zwar waren es die Berliner Sportgenossen Schlink, Johow, Köcher und P. Mündner, und vereint steuerten wir gemütlich Basel zu.

Das Wetter war scheusslich, die Strassen waren kaum fahrbar, und um nicht im Schmutz umzukommen, ergriffen wir ganz energische Schutzmassregeln, indem wir aus Kaffeesäcken eine Art Ponchos anfertigten, die sich im Winde wie Ballons aufblähten, aber uns sehr nützlich waren. Allerdings verfehlten wir nicht, in allen Orten, die wir passierten, in diesem Aufzuge grosses Aufsehen zu erregen, besonders war dies in Köln der Fall. Unterwegs begegneten wir noch Reheis und Gerger, die für sich seit Wochen ausprobierten, in welcher kürzesten Zeit sie die Strecke zurücklegen könnten, wobei Gerger einmal eine bessere Zeit wie später der Sieger Fritz Opel erzielte. Das Wetter klärte sich auf; nach einer mehr wie viertägigen Fahrt trafen wir endlich am 13. September in St. Ludwig als die letzten ein, erhielten aber doch, dank der Fürsorge des Bundesvorsitzenden Otto Weber, ein sehr gutes Unterkommen.

Der Start am 15. September

Der Start ging am 15. September mit militärischer Pünktlichkeit und Ordnung vor sich; Weber stellte uns schon vor halb 6 Uhr früh in drei Gliedern auf, und in Zwischenräumen von je 2 Minuten traten die einzelnen Gruppen von 6 Uhr ab die Fahrt an, meine Gruppe, die letzte, um 6 Uhr 4 Minuten.

Anfänglich wollte keiner von uns führen; Gerger und Sorge hielten sich hinten und warteten auf ihre Schrittmacher, und bis dahin wollten sie sich wegen des Gegenwindes nicht anstrengen. So fuhren wir denn eine geraume Zeit im Bummeltempo und verloren bedeutend Terrain gegen die zweite Gruppe, bis schliesslich P. Mündner vorging, der nach einer Weile von mir abgelöst wurde; wir führten dann beide abwechselnd in so flottem Tempo, dass unsere Gruppe an der ersten Kontrollstation nur noch eine Minute gegen die vordere verloren hatte.

Unterwegs hatten wir ein sehr unangenehmes Rencontre mit einer Herde wild gewordener Ochsen, welche direkt auf unsern Zug losstürmten und manchen Fahrer in Lebensgefahr brachten. Viele mussten anhalten, manche kamen zu Fall, und nur wenigen gelang es mit knapper Not der Gefahr zu entrinnen, darunter Sorge, Gerger, P. Mündner und ich.

Nachtfahrt und Ziel

Ich gönnte mir unterwegs in Worms einen zu guten Imbiss (Apfelreis) und merkte zu meinem Schrecken, dass ich zum Tempofahren unfähig war. Weiss verabschiedete sich, und ich fuhr langsam auf der schlechten Strasse nach Worms. Unterwegs holte mich Reheis wieder ein, aber ich hatte mich bereits erholt, langte mit ihm zusammen in Worms an und war dann wieder vorn, sodass ich 15 Minuten vor Reheis in Mainz eintraf.

In Mainz riss mich ein Gendarm vom Rad, weil ich keine brennende Laterne hatte – der Empfang war also nicht ermutigend, aber mein Ärger legte sich, als ich in der Station Weiss erblickte, mit dem ich weiterfahren wollte. Ich unterschrieb, nahm schnell einen Imbiss, und als ich mich nach vier Minuten Rast nach Weiss umsah, war dieser verschwunden – bald nach meinem Eintritt, sagte man mir; ich jagte sofort nach, aber es war zu spät, er war nicht mehr zu holen.

In Bingerbrück traf ich Pundt, der mich bis Coblenz führte; Weiss hatte indes auch Führung, und ich kam ihm nicht viel näher. Es stand zwar Vollmond im Kalender, aber statt seines freundlichen Gesichtes sahen wir gar nichts, da uns ein dichter Nebel umgab, der uns ärger als ein Regenguss durchnässte. Dazu wehte stossweise ein heftiger Gegenwind, der uns manchmal zum Stillstand brachte – kurz, die Nacht war höchst ungemütlich.

Von Coblenz bis Köln führte mich Freund Göcke aus München in äusserst selbstloser Weise, aber doch nicht so schnell, wie ich es wünschte. Allmählich wurde es heller, der Wind legte sich; als ich in Köln eintraf, war Weiss eben weggefahren, von einem Tandem geleitet, dem ich nicht einmal einen Schrittmacher entgegenstellen konnte, sodass Weiss jetzt schnell vor mir wegkam und in Cleve 30 Minuten vor mir anlangte – ein sprechender Beweis für den hohen Wert eines Tandems als Schrittmacher.

Nach den Mitteilungen, die mir bisher geworden, war ich Vierter; man denke sich daher mein Erstaunen, als man mir in Köln sagte, dass noch vier Fahrer vor mir seien, darunter Liebherr, der ja doch in Strassburg aufgegeben hatte und mit der Bahn nach Koblenz gefahren war, wovon man in Köln aber noch nichts wusste. Ich klärte die Herren über den Sachverhalt auf und holte nach kurzer Zeit Liebherr selbst ein.

Quelle: Radfahr-Humor, 1894, S. 3 ff.

W. Schweinsmann: Meine Fahrt Basel – Cleve

Am 15. September, 6 Uhr 4 Minuten morgens, startete ich in der dritten Gruppe in St. Ludwig. Das Tempo, mit dem wir fuhren, war ein gutes, doch keineswegs ein scharfes zu nennen, da bei dem herrschenden starken Gegenwinde keiner so recht führen wollte. Urpani von Graz, Gerger’s Führer, erbarmte sich zuweilen und sorgte für etwas Tempo, so erreichten wir 7 Uhr 56 Minuten Neubreisach, wo Sorge’s Führer auf Tandem denselben erwarteten.

In einem vorzüglichen Hinterhalt, hinter den Mauern der Festung, hatte Freund Sorge sein Tandempaar auf der Lauer liegen lassen, welches im geeigneten Augenblick, unbemerkt von den übrigen, mit seinem Schutzbefohlenen davongehen sollte. Doch es kam anders: Sorge hatte vor Neubreisach die Hälfte eines Pedals verloren und war so gezwungen, zunächst ein mitgeführtes Pedal anzuschrauben. Die übrigen Teilnehmer der letzten Gruppe, die noch zusammen waren, fuhren voraus, bis Sorge mit einem bedeutenden Spurt uns einholte. Sofort hing ich mich an ihn, und es gelang mir auch, bei ihm zu bleiben und Vorsprung zu gewinnen.

Nun ging’s weiter im schärfsten Tempo. Dank der vorzüglichen Führung erreichten wir bald die erste Gruppe und konnten eine kleine Purzlerei in derselben registrieren. Schlink von Berlin konnte wegen defekter Maschine nicht weiterfahren. Opel, Guthknecht, Johow und Weiss zogen sofort mit uns, und so passierten wir in grösserer Gruppe zuerst die 100 km bei Gerstheim um 9 Uhr 39 Minuten vormittags, Strassburg, das Hauptkontrollamt, erreichten wir 10 Uhr 21 Minuten, und es war mir möglich, hier als Erster die Bescheinigung zu unterzeichnen.

In Strassburg sollte ich einen Schrittmacher bekommen, der mich bis Worms begleiten sollte, doch war derselbe leider nicht erschienen. Nachdem ich mich vergebens nach demselben umgesehen, waren auch schon Opel und Sorge, die jetzt beide Tandem-Schrittmacher hatten, davongeeilt, was ich in dem fürchterlichen Menschenandrang beim Kontrollamt gar nicht bemerkt hatte. So fuhr ich allein von Strassburg fort. Bei dem starken Gegenwind war an ein Einholen der beiden Vordermänner nicht zu denken, und so beschloss ich, ruhig zu fahren, bis der nächste Mann kam, um mit demselben weiter zu ziehen.

Der nächste war Weiss, gut geführt. Doch währte die Freude des Zusammenseins nicht lange, denn mein Hinterrad-Pneumatik hatte sich an einem spitzen Gegenstand vergriffen und liess Luft. Nachdem ich schnell die Reparatur vorgenommen, konnte ich schon mit den Nächstankommenden, Gerger, Grüttner und Heine, weiterfahren. Vor Lauterburg passierte mir dasselbe Malheur mit dem Pneumatik, wodurch ich wieder den schönen Anschluss verlor.

Von hier ab fuhr ich unter mehr oder weniger mässiger Führung von Sportgenossen, die bei den einzelnen Stationen als Schrittmacher fungierten, bis Speyer, wo ich um 4 Uhr 35 Minuten nachmittags anlangte. Die sehr gut eingerichtete Erfrischungsstation veranlasste mich, mich ordentlich zu restaurieren; auch liess ich mich kalt waschen. Solche kalte Abwaschungen halte ich für das Wirksamste bei grossen Fahrten – ich habe dies häufig erfahren.

Als man mir sagte, Mündner und Köcher seien eben angekommen, fuhr ich weiter. Ich hörte noch, dass Gerger gestürzt sei und einen Arzt konsultiere. Auf dem Wege nach Frankenthal traf ich Heine, und wir fuhren zusammen nach Worms; Mündner und Köcher, geführt von Zachariades, gesellten sich hier zu uns. In ziemlich flottem Tempo ging es jetzt dicht am Rhein entlang, der sich bei Oppenheim in seiner grossartigen Breite im Mondschein ganz wunderbar präsentierte, nach Mainz.

Ich bemerke hier noch, dass mein »Brennabor«-Rad mit Continental-Reifen sich bei dieser Fahrt ganz vorzüglich bewährte, sowohl durch leichten Lauf wie auch durch Stabilität. Besondere Hochachtung gebührt Otto Weber für die vorzügliche Leitung und Organisation dieser Distanzfahrt.

Quelle: Radfahr-Humor, 1894, S. 23 ff.

Arthur Guthknecht: Zur Distanzfahrt Basel – Cleve

Mein Vorhaben, überhaupt nur mehr auf der Wettfahrbahn zu starten, habe ich aufgegeben. Ich bin beim Bahnwettfahren viel zu aufgeregt. Auf der Landstrasse verhält sich die Sache ganz anders; wenn ich auch während der ersten Kilometer mehr oder weniger erregt bin, so fühle ich mich, habe ich einmal die ersten 20 km hinter mir, ganz gut disponiert und bin immer sehr guter Laune.

Während ich in voriger Saison nicht ein einziges Mal gestürzt war und doch ganz schöne Erfolge, immer ohne Schrittmacher und ohne Ersatzmaschine, zu verzeichnen hatte, ging das Stürzen heuer schon bei Eröffnung der Saison in Mannheim und Strassburg an. War ich in Form gekommen, so machte mir immer ein Sturz einen Strich durch die Rechnung. Begreiflicherweise wurde ich dadurch nicht ausgeformt, und ich kann heute ehrlich behaupten, dass ich diese Saison auch nicht einmal in bester Form war.

Für Basel–Cleve habe ich kaum drei Wochen trainiert, und da ich mich wieder einmal infolge eines Sturzes bei dem schlechten Wetter in den Monaten August und September schonen musste, war dieses Training höchst mangelhaft. Ich lag heuer schon zweimal an Blutvergiftung krank darnieder, und zwar jedesmal an Karbolsäurevergiftung. Man sollte mit der Anwendung von Karbolsäure beim Auswaschen der Wunden doch etwas vorsichtiger sein; ein jeder verträgt die Karbolsäure auch in der schwächsten Lösung nicht – ich habe dies zweimal erfahren müssen.

Bei meinem letzten Sturz, wo ich am Knie, Armen, Mund usw. verletzt war, wusch man meine Wunden wieder mit Karbol aus, und bald stellte sich die Karbolsäurevergiftung ein, gekennzeichnet durch Ausschlag am ganzen Körper, Abschälen der Haut usw. Drei Wochen lang war ich an das Bett gefesselt, vollständig niedergeschlagen. Als ich endlich einmal wieder ausgehen konnte – gegen den 25. August zu – fiel mir das Fahren sehr schwer. Es dauerte einige Tage, bis ich nur 20 km in der Stunde zurücklegen konnte.

Als ich am Start Basel–Cleve erschien, hoffte ich, einen Platz unter den ersten Fünf einnehmen zu können, glaubte aber nicht, Schnelligkeit genug zu besitzen, um auf einen ersten resp. zweiten Platz rechnen zu können. Mein Erfolg hat mich jedoch aufgemuntert, und ich hoffe, bei einer anderen Gelegenheit in besserer Form am Start erscheinen zu können.

Auf der Fernfahrt Basel–Cleve selbst, die vorzüglich organisiert war und insbesondere bezüglich der Kontrolle, Verpflegung usw. nichts zu wünschen übrig liess, ward ich überall gut empfangen. In Mainz stürzte ich, durch das umdrängende Publikum behindert, und mein Vorderrad schlug einen Achter. Ich richtete es sofort wieder gerade, wie auch in Köln die Lenkstange, und fuhr bis nach Cleve auf derselben Maschine (Seidel & Naumann, »Germania«).

Quelle: Radfahr-Humor, 1894, S. 9 ff.

P. Mündner u. a.: Bericht über Brennabor-Räder bei der Distanzfahrt Basel – Cleve

Unsere Leser werden schon aus den Reklamen der betreffenden Fabrikanten ersehen haben, welchen Wert dieselben darauf legen, dass bei grossen sportlichen Ereignissen ihre Erzeugnisse zur Geltung kommen und dass dieselben bei eventuellen Wettkämpfen von den Siegern benutzt werden. Schon bei kleineren Wettfahren kann man dies beobachten.

Findet nun gar eine Distanzfahrt wie die letzte Basel – Cleve statt, so sind alle Augen darauf gerichtet, welche Maschinen von den besten Fahrern benutzt werden und welche Marke die Sieger zum Ziele führt. Wenn wir auch nicht der Meinung sind, dass die Maschine das Rennen macht, so muss doch zugestanden werden, dass nur ausgeprobte Fabrikate imstande sind, die grossen an sie gestellten Anforderungen zu erfüllen.

Eine scheinbare Kleinigkeit – das Lockerwerden einer Schraube, das Reissen einer Speiche oder das Undichtwerden eines Pneumatikreifens – kann Veranlassung sein, dass der Fahrer aufgeben muss und so seine langgehegten Hoffnungen und sein mühevolles Training verloren gehen.

Selbstredend werden sich aber auch anderseits nur geübte, willensstarke Fahrer den kolossalen Anstrengungen und Mühen, die eine solche Dauerfahrt mit sich führt, mit Aussicht auf Erfolg auszusetzen vermögen.

Von den vier Fahrern, die unser obiges Bild vorführt – Wilhelm Johow (Berlin), Paul Mündner (Berlin), Oswald Grüttner (Berlin) und W. Schweinsmann (Barmen) – haben die letzteren drei, Schweinsmann, Mündner und Grüttner, bereits die vorjährige Distanzfahrt Wien – Berlin mitgemacht; Mündner und Grüttner beteiligten sich ausserdem auch an der diesjährigen Distanzfahrt Mailand – München, während Johow sich bei der Distanzfahrt Basel – Cleve zum ersten Male an eine solche Aufgabe wagte.

Johow benutzte als Studierender des Polytechnikums in Charlottenburg die Ferienzeit zu einem energischen Training auf diese Dauerfahrt. Grüttner legte die 620 km lange Strecke Basel – Cleve als Vierter in 28 Stunden 39 Minuten 00 Sekunden zurück. Mündner endete auf dem siebenten Platze in 30 Stunden 33 Minuten 30 Sekunden, nach ihm ging 5 Sekunden später in 30 Stunden 33 Minuten 35 Sekunden Schweinsmann durchs Ziel, und auch Johow endete diese seine erste Dauerfahrt mit einem sehr schönen Erfolge – er ging als Dreizehnter in 32 Stunden 51 Minuten 10 Sekunden durchs Ziel.

Ausser den ausgesetzten Ehrenpreisen erhielt Grüttner eine goldene, Mündner, Schweinsmann und Johow je eine silberne Medaille und jeder dieser vier Konkurrenten ein Diplom. Sämtliche vier Fahrer bedienten sich der schon durch frühere Erfolge bekannten und erprobten Brennabor-Räder, über deren Leistungsfähigkeit und volle Zuverlässigkeit auch sie sich mit der grössten Anerkennung ausgesprochen haben.

Quelle: Radfahr-Humor, 1894, S. 59 ff.

Bernhard Killinger: Meine Fernfahrt Basel – Cleve

Der Start

Im Osten dämmerte der Morgen des 15. September und drang durch das offene Dachfenster in das Schlafgemach eines Fernfahrers, dem der Wirt zum Hotel John in St. Ludwig des Abends noch in elfter Stunde bei einem Privatmann gerade gegenüber dem genannten Hotel eine Lagerstätte verschafft hatte. Bald darauf erscholl auch der Zuruf von der Strasse her, dass es Zeit sei zum Aufstehen. Rasch warf sich der Schläfer – mein eigenes Ich – in seine Kleider, wusch sich den Schlaf aus den Augen und eilte zum Hotel hinüber.

Hier war schon alles in Bewegung. Ein Baseler Club hatte sich zahlreich eingefunden. Es war 5 Uhr. An der gedeckten Tafel sassen schon Fahrer und liessen sich ihren Kaffee sowie das Beefsteak wohl munden. Hier und da füllt einer noch seine Feldflasche mit Kaffee, Tee oder Wein.

Da erscheint Otto Weber und verteilt die Bescheinigungskarten. Die Uhr zeigt halb 6 Uhr. Draussen ist es bereits hell geworden. Einige sind schon fertig zum Aufbruch und warten ungeduldig, die Maschine in der Hand. Endlich heisst es: »Hinaus zum fröhlichen Jagen!«

Ein frischer Wind aus Nordost fährt uns durch die dünne Gewandung und macht uns frösteln. Da ertönt es: »Achtung! Los!« – und unter den »All Heil!«-Rufen der zahlreichen Zuschauermenge fliegt die erste Gruppe der Fernfahrer davon, eine Staubwolke hinter sich herziehend. Ebenso rasch ist auch die zweite Gruppe den Blicken der Zuschauer entschwunden. Jetzt kommt Gruppe Nr. 3. Also: »Los!«

Ich als Nr. 6 stand in der hintersten Reihe. Das »All Heil!« der Menge hört man nur halb. Die ganze Aufmerksamkeit ist auf die Vordermänner gerichtet. Doch sehe ich, wie der Zwischenraum zwischen diesen und mir immer grösser wird, an mir waren schon im ersten Moment Frz. Gerger, Alb. Otto und Gg. Sorge vorbeigesaust. St. Ludwig lag noch nicht hinter uns, und ich bildete den würdigen Schluss der 45 Fernfahrer.

Nach wenigen Augenblicken hatte ich auch den 44. wegen allzu grosser Entfernung desselben aus dem Auge verloren. Noch standen Landleute an der Strasse. Ich glaube, in manchem Blicke Mitleid gelesen zu haben, auch fehlte es an spöttischen Bemerkungen über meine »Verspätung« nicht. So gondelte ich gemütlich weiter.

Endlich taucht vor mir etwas Weisses auf, und ich erkenne alsbald darin die Tricotjacke des 44. Diesen aufzuholen, ist mein nächstes Bestreben. Ich beschleunige daher mein Tempo und habe ihn bald erreicht. Hinter seinem breiten Rücken Deckung suchend gegen den stark von vorn wehenden Wind, fahren wir eine Weile dahin. Da wieder etwas Weisses – der 43., den müssen wir holen. Ich übernehme die Führung, und rasch haben wir ihn. Zu dritt fahren wir nun einträchtig zusammen, in der Führung wechselnd.

Der Weg ist nicht zu verfehlen, da an allen Kreuzungen oder Wegabzweigungen an den Bäumen rote Zettel angeklebt sind, auf denen ein Pfeil die Richtung bezeichnet. Darüber steht geschrieben: »Basel–Cleve«. In den Ortschaften sind Radfahrer aufgestellt, welche uns die Richtung angeben.

Unterwegs

Spielend erreichen wir Neu-Breisach. Dort führt uns ein Fahrer durch die Festungswerke zur Stadt hinaus. Als ich draussen wieder das offene Feld vor mir sehe, bemerke ich, dass ich meine beiden Gefährten verloren habe. Ich kam nun an einem Distanzfahrer vorbei, der am Wege stehend mit einem Landmann in ein Gespräch sich eingelassen hat. Meiner Aufforderung, aufzusteigen und mit mir zu fahren, leistet er sofort Folge, und nun ging es in scharfem Tempo weiter. Doch bald erlahmen die Kräfte des Genossen, und ich sehe mich gezwungen, damit ich besser vorwärts komme, die Führung zu übernehmen.

Rechts und links hatten sich schon hier und da Fahrer im Chausseegraben niedergelassen, um etwas auszuruhen. Ich begnügte mich jetzt nicht mehr, Vordermänner einzuholen und mich ihnen anzuhängen, ich fahre einfach an ihnen vorbei, da deren Geschwindigkeit mir nicht zusagte.

In Lauterburg hatten wir Halt zu machen, woselbst Mittagessen für uns bereitstand. Das Kontrollamt befand sich an der Strasse, das Gasthaus, wo man das Mittagsmahl einnehmen konnte, aber abseits im Städtchen. Hier ging alles in der Bedienung äusserst langsam, und ahnten die Leute nicht, welche Eile wir hatten. Als wir endlich frisch gestärkt wieder an die Kontrollstation zurückgekehrt waren, hatten uns schon einige, die hier nicht zu Mittag assen, sondern gleich durchfuhren, überholt. Mein Schrittmacher wollte, um die versäumte Zeit wieder einzuholen, höllisch vom Leder ziehen, ich machte ihm aber klar, dass es unmöglich sei, mit vollem Magen ein schnelles Tempo zu fahren, und so ging es dann mit mässiger Geschwindigkeit einige Zeit weiter.

Ungefähr bis Langenkandel war die Verdauung soweit beendigt, dass alle Schlaffheit überwunden war, und ich frisch gekräftigt meinen Schrittmacher ersuchen konnte, nun rascher zu fahren. Von hier bis Speyer kam es mir vor, als ob sich meine Kräfte immer mehr verjüngten. Mein Schrittmacher vermochte mir noch kaum rasch genug zu fahren. In Speyer, wo ich als 17. ankam, herrschte am Haupt-Kontrollamt reges Leben.

Gerger sass dort ganz ruhig und gelassen an der gedeckten Tafel, er hatte aufgegeben. Rasch stürzte ich Speise und Trank hinunter und war in einigen Minuten wieder bereit zum Aufsitzen. Doch musste ich noch warten, da mein Schrittmacher noch einen Bekannten, Walther Jäckel aus Magdeburg, getroffen hatte, dem er ebenfalls Schritt machen wollte. Als wir wieder aufgestiegen waren, stellte sich Übelkeit und einige Kilometer hinter Speyer Erbrechen ein. Offenbar hatte ich mich am Apfelreis zu sehr vergriffen, und kaum auf der Strasse, merkte ich zu meinem Schrecken, dass ich zum Tempofahren unfähig war.

Weiss verabschiedete sich, und ich fuhr langsam auf der schlechten Strasse nach Worms; unterwegs holte mich Reheis wieder ein, aber ich hatte mich bereits erholt, langte mit ihm zusammen in Worms an und war dann wieder vorn, sodass ich 15 Minuten vor Reheis in Mainz eintraf.

Nacht und Ziel

In Mainz am Kontrollamt wurde ich von meinen Clubgenossen, die von dem nahen Höchst eine Radtour hierher gemacht hatten, begrüsst und beglückwünscht, da ich noch Aussicht auf einen Preis hatte. Ich entgegnete, dass ihr Glückwunsch verfrüht sei, und man noch nichts sagen könne.

Nachdem ich mir Gesicht, Hals und Beine gewaschen und mich auch gestärkt hatte, ging es weiter, und zwar führte mich von hier aus August Stifft. Einen aufmerksameren und rücksichtsvolleren Schrittmacher habe ich nicht gehabt. Die wenigen Steigungen hinter Mainz steige ich ab und schiebe, da der hierdurch entstehende geringe Zeitverlust in keinem Verhältnis steht zu dem grossen Kraftverbrauch.

Wohlthuend berührt es, dass bei Ingelheim, wo es steil bergab geht und einige Flossrinnen zu durchqueren sind, bei einer jeden derselben eine Wache steht, welche durch Pfeifen und Rufen die Herannahenden auf die Flossrinnen aufmerksam macht und beim Durchfahren derselben mit der brennenden Fackel hinleuchtet.

Da ich sehr von Trockenheit im Mund zu leiden habe, fange ich an, Stroh zu kauen. Doch steht mir solches bald nicht mehr zur Verfügung; nun muss die rechte Spitze meines Schnurrbartes herhalten. Dieses Kaumittel verwende ich bis ans Ziel. In Cleve erst bemerke ich, dass die Spitze ganz abgenagt ist.

Um daher die nötige Gleichförmigkeit in meinem Gesicht wieder herzustellen und mit gleich grossen Schnurrbart-Enden einherstolzieren zu können, musste ich mir in Cleve die linke Spitze stutzen lassen. Hinter Gänsheim werde ich von einem Tandempaar, dem ein Fahrer anhängt, überholt. Dieselben sausen im Renntempo an uns vorbei.

Ich muss bemerken, dass, wie es sich auch bei dieser Fahrt wieder gezeigt hat, der Fahrer, der durch ein Tandem geführt wird, unverhältnismässig im Vorteil steht gegenüber demjenigen, der durch einen Einzelfahrer geführt wird.

Während des Tages herrschte ein scharfer Nordostwind, gegen den wir uns abmühen mussten. Die durch ein Tandem geführten Fernfahrer hielten sich nun auf die linke Seite hart hinter den Führern. Der zweite Tandemfahrer legt sich mit dem Kopf gegen den Rücken des ersten und bilden so beide einen Windschutz, unter dem der Fernfahrer leicht das gute Tempo des Tandems aushalten kann.

Es ist meine Überzeugung, dass ein weniger guter Fahrer mit Hilfe von Tandems eine bessere Zeit erzielen kann als ein bedeutend besserer mit gewöhnlichen Schrittmachern. Da nun die guten Leistungen der Fernfahrer und nicht die günstigen von ihnen geschaffenen Umstände preisgekrönt werden sollen, so wäre ich der Ansicht, der Bund solle in Zukunft bei Fernfahrten, wenn auch Schrittmacher überhaupt nicht mehr entbehrlich sind, doch wenigstens Tandems zum Schrittmachen nicht mehr zulassen.

Ich gebe noch ferner zu erwägen, dass Tandempaare wegen ihrer Seltenheit sehr schwer und unter sehr grossem Kostenaufwand zu beschaffen sind, sodass gerade dem Amateur vom reinsten Wasser, der die Fernfahrt aus eigenem Säckel bestreitet, die Beschaffung eines solchen zur Unmöglichkeit wird.

Dem für eigenes Fabrikat oder für irgend eine Fabrik fahrenden Pseudo-Amateur steht die Firma zur Seite, die ihm leicht mehrere Tandempaare zur Verfügung stellen kann. Zur Erzielung einer grösseren Geschwindigkeit hat der letztere Fahrer wieder so viele und tüchtige Einzelfahrer zur Verfügung, dass er oft mit denselben wechseln und bei eigener Tüchtigkeit auch gute Zeiten erzielen kann.

Wir fuhren weiter. Leider war an ein Aufholen der Durchgänger nicht zu denken, denn schon vor Mainz hatte ich bemerkt, dass ich nicht mehr gut sah. Ich schrieb dies erst meiner Brille zu, die ich dann in Mainz sorgsam putzte. Trotzdem verbesserte sich mein Gesicht nicht. Erst der Spiegel zeigte mir, was die Ursache war. Die Augen waren wahrscheinlich von dem starken Gegenwind stark gerötet, und musste ich daher, da ich ohnedies kurzsichtig bin, in der Nacht langsam fahren.

Ich kam erst spät nach Koblenz. Kurz vorher passierten wir eine Stelle, wo es mit einer scharfen Biegung über eine Brücke ging. Als wir uns nahten, fachte ein Mann daselbst, indem er Stroh in ein Kohlenfeuer warf, eine leichte Lohe an, sodass die gefährliche Stelle vollständig hell erleuchtet war, und wir, ohne im Tempo einzuhalten, durchfahren konnten.

In Koblenz war trotz der vorgerückten Stunde das Kontrollokal noch voller Menschen. Leider gab es hier nicht mehr viel zu essen, trotzdem ich noch lange nicht der letzte war. Ich bemerkte auch, dass sich meine Augen verschlimmert hatten. Da ich mich etwas länger aufhielt, war mir wieder ein Konkurrent zuvorgekommen, den ich zu überholen hatte. In Koblenz wartete meiner wieder ein neuer Schrittmacher. Weiter ging es in die mondhelle Nacht hinaus.

Doch bald trat ein so dichter Nebel ein, dass ich manchmal meinen Schrittmacher nur als dunklen Schatten vor mir sah. Es wurde stockfinstere Nacht. Der Mond war nicht mehr zu sehen, und daher war langsames, vorsichtiges Fahren geboten. Scharen von Landleuten begegneten uns, die wohl nach der nächsten Eisenbahnstation eilten.

Ungeduldig erwartete ich den Tag. Da endlich scheint es sich etwas aufzuhellen. Ich sehe nach meiner Uhr – das erste Mal seit unserer Abfahrt – doch sie ist stehen geblieben. Natürlich habe ich, da ich sie vor dem Schlafengehen aufzuziehen pflege, es gestern Abend vergessen; das Räderwerk geht nur 30 Stunden lang. Wenn ich nur mein eigenes Räderwerk länger als 30 Stunden bewegen kann!

Doch zusehends wird es heller. Die Laternen werfen nur noch einen matten Schein. In Remagen endlich ist es Tag geworden. Ich gebe dort meine Laterne an der Kontrollstation ab, und jetzt heisst es los in wilder Jagd dem Ziele zu, froh, dass die Nacht herum ist, die mich an ein so elendes Schneckentempo fesselte.

Bei Godesberg ungefähr sehe ich wieder einen Vordermann. Ein kurzer Vorstoss, und ich habe ihn überholt. Es ist Willy Kux mit seinem Schrittmacher, derselbe frug mich: »Sie wollen mir doch nicht vorkommen?« Ich entgegnete: »Ich bin noch vollständig frisch und brauche nicht zu rasten.«

Ich feuerte nun meinen Schrittmacher an, flotter zu fahren; derselbe konnte mich kaum unter den grössten Anstrengungen mit seinem besten Tempo befriedigen. In Mörs trank ich ebenfalls ein Glas Rotwein, und weiter ging es in wilder Hast. Zwar teilten mir die Leute mit, dass mein Vordermann eine Stunde vor, mein Hintermann Kux eine halbe Stunde nach mir sei, dass ich also durch rasches Fahren meinen Platz nicht mehr zu verbessern vermöge, allein ich wollte doch wenigstens eine möglichst günstige Zeit herausschlagen, und fuhr deshalb wie wild darauf los, einen grossen Teil der uns begleitenden Fahrer und Schrittmacher hinter uns lassend.

In Xanten nehme ich an der Kontrollstation noch einen Teller Suppe ein, trinke dann ein Glas Schaumwein und zum letztenmale auf dieser Tour schwinge ich mich in den Sattel. Immer grösser wird die Schar der uns begleitenden Fahrer, immer ungeduldiger werde ich, und alles fährt mir zu langsam. Über das Pflaster von Calcar fliegen wir, als wenn es Daunen wären. Da endlich werde ich aufmerksam gemacht auf eine Turmspitze – das ist Cleve.

Bald biegen wir um eine Ecke, ein Schuss erschallt, die Wimpel und Flaggen am Ziele winken, eine ungeheure Menschenmenge harrt unser, welche uns in der Mitte des Weges eine Gasse macht. Die andern Fahrer lassen mich vor, noch einige Radlängen, und ich bin am Ziele. Tusch der Musikkapelle und der Beifall der Menge begrüsste uns, und jetzt war ich froh, das Stück Arbeit vollendet zu haben!

Anmerkung der Redaktion: Killinger traf bekanntlich als Elfter in Cleve um 2 Uhr 12 Min. 15 Sek. nachmittags mit einer Fahrzeit von 32 Stunden 18 Minuten 15 Sekunden ein.

Quelle: Radfahr-Humor, 1894, S. 129–149 ff.

Sport im Bild (Berlin, Nr. 8, 1898): Die Gebrüder Opel

Es ist eine häufig beobachtete Tatsache, dass ein und dieselbe hervorragende geistige oder physische Begabung allen Nachkommen einer Familie eigen ist. Es liegt diese Ähnlichkeit, wie man zu sagen pflegt, gleichsam „im Blute“. So sind z. B. die Namen verschiedener Brüderpaare, die sich in gleicher Richtung auszeichneten, in der Geschichte unzertrennlich miteinander verbunden – wie die der Gebrüder Grimm, Schlegel und Humboldt.

Dieselbe Erscheinung zeigt sich vielleicht noch stärker auf sportlichem, und besonders auf radsportlichem Gebiet. Bekannt sind z. B. die Gebrüder Osmonde, Farman, Loste und Linton im Ausland, die Gebrüder Underborg, Heidenreich, Verheyen u. a. in Deutschland. Vor allen aber glänzt der Name der fünf Gebrüder Opel. Es sind die Söhne des verstorbenen Fahrradfabrikanten Adam Opel in Rüsselsheim am Main.

Der Älteste, Carl Opel, startete in den Jahren 1888–1892 und errang rund sechzig, meist erste Preise. Sein erfolgreichstes Jahr war 1889, als er in Berlin das Niederrad-Handicap gewann und in Offenbach die Meisterschaft von Hessen errang.

Sein Bruder Wilhelm Opel, zumeist Hochradfahrer, gehörte in dieselbe Klasse. Beide waren ausgesprochene „Flieger“ und fanden im Spurt kaum Überwinder. Wilhelm siegte 1889 im Preis des Statthalters von Elsass-Lothringen zu Straßburg und 1890 in den Meisterschaften von Mähren und Hessen. Seine Preisbilanz belief sich auf rund fünfzig Siege.

Heinrich Opel trat 1892 hervor durch seine dreitägige Rekordfahrt Paris–Frankfurt, eine außergewöhnliche Leistung für sein jugendliches Alter. Es folgten Meistertitel in Hessen und Böhmen. In Wien errang er 1893 den ersten Weltrekord Österreich-Ungarns auf Tandem (500 m in 0:38 s), gemeinsam mit Otto Beyschlag, sowie mehrere Meisterschaften in Graz, Linz und Brünn.

Dann kommt Fritz Opel, der unstreitig bekannteste und erfolgreichste der Brüder. Schlank, hellhaarig, im himmelblauen Trikot – beliebt, fair, ein Musterfahrer seiner Zeit. Schon 1893 galt er als erstklassig und schloss die Saison mit fünfzig Preisen ab. 1894 stand er früh in Form, gewann die Meisterschaft von Hessen, belegte in Wien den dritten Platz hinter Lehr und Banker und stellte im Zwei-Stunden-Rennen in Frankfurt mit Lehr einen neuen Stundenrekord auf.

Im Herbst wandte er sich dem Tourenfahren zu – und trat zur Distanzfahrt Basel–Cleve an, 620 km auf der alten Römerstraße entlang des Rheins. Viele hielten seine Meldung für einen Scherz: ein Sprinter unter Fernfahrern. Am Vorabend sagte Guthknecht zu ihm:

„Na, Fritz, du wirst uns wohl nicht gefährlich; in Straßburg oder Mainz wirst du rechts schwenken.“
Opel antwortete:
„Na, das freut mich, dass niemand glaubt, ich werde das Rennen beendigen. Bei Regen fahre ich nicht einmal eine Stunde mit, aber bei schönem Wetter – ihr werdet’s sehen.“

Es war sonnig. Und Fritz Opel passierte nach fast achtundzwanzigstündiger Fahrt unter donnerndem „All Heil“ in Cleve als Erster das Band – Sieger der gewaltigen Distanzfahrt Basel–Cleve 1894 und Träger des vom Kaiser gestifteten Ehrenpreises. Wie einst Cottereau bewies auch er, dass Sprinter in solchen Distanzfahrten nicht zu unterschätzen sind.

Im folgenden Jahr, 1895, war Fritz Opel Deutschlands erfolgreichster Fahrer mit 35 ersten und 20 zweiten und dritten Preisen. 1896 errang er in Teplitz die Meisterschaft von Sachsen und in Halle die deutsche Meisterschaft über kurze Strecke samt Kaiserpreis. 1897 gewann er in Bremen die Meisterschaft von Deutschland über 100 km – ein Beweis, dass sein Sieg Basel–Cleve kein Zufall war. Insgesamt errang er 110 erste und 80 zweite Preise, darunter vier Meisterschaften.

„Last not least“ folgt Ludwig Opel, der Jüngste, noch Gymnasiast, aber bereits Meister von Hessen und mehrfacher Sieger kleinerer Rennen. Insgesamt gewannen die fünf Brüder rund 300 erste, 130 zweite und 70 dritte Preise – vierzehn Meisterschaften eingeschlossen.

So sehr sich der Radsport wandelte, der Name Opel blieb in den Annalen des deutschen Sports ein Synonym für Ehrgeiz, Disziplin und Tatkraft.

Quelle: Sport im Bild (Berlin), Nr. 8, 1898, S. 117–118.

Glossar zur Distanzfahrt Basel–Cleve (1894)

All Heil
Radfahrergruß des Deutschen Radfahrer-Bundes. Entsprach dem „Sport frei“ späterer Zeiten – ein kameradschaftlicher Wunsch für Glück und unfallfreie Fahrt.

Brennabor
Deutsche Fahrradmarke aus Brandenburg an der Havel. 1894 ein führendes Fabrikat, bekannt für robuste Stahlrahmen. Grüttner, Mündner, Schweinsmann und Johow fuhren Brennabor-Maschinen.

Bund / Deutscher Radfahrer-Bund (D.R.B.)
1894 die wichtigste Dachorganisation des Radsports im Deutschen Reich. Veranstalter der Distanzfahrt Basel–Cleve. Otto Weber war Bundessportleiter und Organisator.

Cleve (Kleve)
Zielort der Distanzfahrt, damals preußische Provinz Rheinlande. Der Schwanensaal und das Amphitheater waren Schauplätze der Preisverteilung und Feierlichkeiten.

Distanzfahrt
Bezeichnung für Langstreckenrennen über mehrere hundert Kilometer auf öffentlichen Straßen – ohne Etappen, ohne Pausen, auf Zeit. Vorläufer des heutigen Ultracycling.

Fernfahrer / Fernfahrt
Synonym für Distanzfahrer bzw. Langstreckenrennen. „Fernfahrer“ meinte nicht Berufskraftfahrer, sondern Radsportler auf extremen Distanzen.

Guthknecht, Arthur
Fahrer aus Mülhausen (Elsass). Dritter der Basel–Cleve-Fahrt. Bekannt für seine ruhige, reflektierende Nachbetrachtung und die Beschreibung seiner Verletzungen und Trainingsprobleme.

Grüttner, Oswald
Berliner Rennfahrer, Teilnehmer vieler Fernfahrten (u. a. Wien–Berlin, Mailand–München). In Basel–Cleve Fünfter, zugleich Chronist der Fahrt. Seine Berichte sind nüchtern und präzise.

Johow, Wilhelm
Berliner Fahrer, Student des Polytechnikums Charlottenburg. Er beendete seine erste Fernfahrt mit Erfolg (Platz 13).

Killinger, Bernhard
Fahrer aus Höchst am Main. Schrieb den lebendigsten Bericht der Fahrt – mit Humor, Selbstironie und genauer Beobachtung. Kam als Elfter in Cleve an.

Kontrollamt / Kontrollstation
Offizielle Kontrollpunkte entlang der Strecke, an denen die Fahrer ihre Ankunftszeit eintragen und sich verpflegen mussten. Meist Gasthäuser oder Poststationen.

Mündner, Paul
Berliner Fahrer, regelmäßiger Teilnehmer an Fernfahrten. Fuhr ebenfalls Brennabor. Platz 6 bei Basel–Cleve.

Neues Münchener Tagblatt
Zeitung, die 1894 ausführliche Berichte über die Fahrt brachte – sowohl die offizielle Chronik als auch späte Nachklänge (u. a. über Reheis’ Beschwerden).

Opel, Fritz
Sieger der Distanzfahrt Basel–Cleve. Rüsselsheimer Rennfahrer aus der Fabrikantenfamilie Opel, damals 19 Jahre alt. Gewann in 27 Stunden 50 Minuten.

Pneumatik / Pneumatikreifen
Luftgefüllter Fahrradreifen – 1894 eine Neuheit. Ersetzte den Vollgummireifen und verbesserte Komfort und Tempo, war aber anfällig für Defekte.

Reheis, Max
Fahrer aus Wasserburg. Vierter in Basel–Cleve. Später berüchtigt für seine nachträglichen Beschwerdegeschichten („Strickaffäre“, angebliche Einsperrung).

Schrittmacher
Begleitfahrer, meist auf Tandems oder Einzelrädern, die den Windschatten für den Fernfahrer hielten und Tempo vorgaben. 1894 gängige, aber umstrittene Praxis.

Speyer, Worms, Mainz, Koblenz, Köln, Xanten
Wichtige Durchgangsorte und Kontrollpunkte auf der Strecke. In Mainz lag etwa die Halbzeit.

Strickgeschichte
Anspielung auf Reheis’ frühere Behauptung, bei der Fernfahrt Mailand–München sei er durch einen „Strick“ behindert worden. Später Synonym für Ausreden im Rennsport.

Tandem
Zweirad mit zwei Fahrern, damals als Schrittmachermaschine genutzt. Gab dem Hauptfahrer starken Windschutz. Killinger kritisierte das Tandem als „unfaires Hilfsmittel“.

Weber, Otto
Bundessportleiter des Deutschen Radfahrer-Bundes, Organisator und Schiedsrichter der Fahrt. Verantwortlich für Start, Kontrolle und Preisverleihung.

Weiß, Hermann
Fahrer aus Nürnberg. Zweiter im Ziel, knapp hinter Opel.

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