Mit Grevet, einem Gravel-Brevet, kann man auch in und um Dresden tolle Strecken erleben und bisher vollends unbekannte Spots entdecken. Das Social Grevet #1 rief – entgegen der grundlegend individuellen Solo- oder Duo-Herausforderung – zum gemeinsamen Schotterritt auf. Mit Hagelschauern, Schotterspaß aber auch vielen Sonnenstunden und erholsamen Genusspausen war es ein rundum gelungener Saison-Auftakt im Kiesbett. Gern mehr davon, viel mehr!

Mit dem April ist es so eine Sache: mal Regen und mal Sonnenschein, mal Winterjacke und mal Sommertrikot in glühender Frühjahreshitze. Verwöhnt vom (zu) trockenen März dürstete es Wälder wie auch den verstaubten Rahmen des Rades nach frischem Wasser und adäquat vielfältiger Witterung für solch lange Gravel-Tour. Die Verschiebung des Termins vom zweiten auf den neunten April bewies erneut wie wenig man sich mittlerweile auf -zig Wetter-Apps auf mobilen Endgeräten verlassen kann und sollte. April ist eben April: das Wetter juckt die Vorhersage recht wenig. Früher, ja früher hat man aus dem Fenster geschaut und ist losgefahren. Das waren noch Zeiten. So war es die richtige Entscheidung einfach zu starten: wir sind ja nicht aus Zucker und das Rad nicht aus Papier. So sorgte die Vorhersage für den Samstag bis zum Vorabend noch für Uneinigkeit über das Ja oder Nein zur Tour. Der überaus sonnige und wunderschöne Morgen überraschte alle und beflügelte immerhin 6 von insgesamt über 40 Grevet-Herausforderern pünktlich am Start zu stehen. Es sind ja noch zwei Wochen Zeit: sicher gibt’s über oder nach Ostern mal vollends Sonne und Trockenheit um diese vielfältige Tour im vorgeschriebenen Zeitraum zu absolvieren.

Das Gefühl am Morgen aufzuwachen ohne das verräterische Plätschern auf dem Fensterbrett: unbeschreiblich. Ein Müsli, Kaffee und Saft genügte um energetisch voll da zu sein. Trockener Asphalt, warme Morgensonne und Ruhe sorgten für eine gewisse Aufgeregtheit: es war die Vorfreude auf einen garantiert (!) geilen Ritt durch Felder, Wälder und entlang von (letztlich) tausenden Seen und Teiche. Als Organisator und Streckenchef der Dresdner Grevet-Serie wäre es durchaus fraglich von der Strecke zum Social Grevet überrascht zu sein. Doch ist jedwede Empfindung einer langen Tagestour immer von vielen Faktoren abhängig: das Wetter, die eigene Stimmung, die Mitfahrer*innen, die Kommunikation mit den meist unbekannten Gesichtern am Start… lange Rede, kurzer Sinn: uns sechs Herren einte am Start die Vorfreude auf große Taten die uns dem Gravel-Olymp näher bringen. Auf ging‘s!

Teil 1: der Sonne entgegen

Auf Gravelbikes, Fatbike und nostalgischem Cyclocrosser lief es von Anfang an harmonisch. Die sandige Fahrt durch den Heller ist immer wieder toll um ohne fahrtechnischen Anspruch direkt das Stadtgeschehen, Verkehr und Trubel hinter sich zu lassen. Nach der Ehrenrunde auf Halde 2 verabschiedeten wir uns vom vertrauten Elbflorenz hinein in die Weiten des Nordens. Von Beginn an fanden wir ein gemeinsames Tempo: niemand schoss voraus, alle blieben nah beieinander – wir fuhren miteinander statt gegeneinander.

Immerwährend sahen wir dunkle Wolken zu allen Himmelsrichtungen als wir durchaus flott die Rennstrecke vorbei an Marsdorf über die Felder in Richtung Ottendorf-Okrilla zogen. Hier und da etwas Dreck von unten, einige große Pfützen und ab und an ein paar holpernde Querwege blieben die einzigen „Hindernisse“ um nicht doch konstante 25 km/h Reisegeschwindigkeit an den Tempomaten zu übermitteln. Ein spürbarer Rückenwind trieb uns fidel in Richtung Checkpoints #1. Die langen Schneisen durch die Laußnitzer Heide rollten wie von allein und waren der ideale Start in die insgesamt 130 km des vor uns liegenden Tages. Da war er schon: CP #1 – die Baumelbank bei km 30. Während Sebastian dank neuem Garmin blindlings vorbeifuhr (wofür eigentlich dieser ganze Technik-Schnick-Schnack?) stoppten wir für unterhaltsame Minuten an und um die neckische Bank herum. Ab und an schoben sich große Wolken vor die Sonne, weshalb wir es schleunigst vermieden länger als „kurz“ in der Gegend rumzustehen. Mit Blick auf den Keulenberg (u.a. bekannt als mitternächtlicher Scharfrichter des Grevet #4/2021 bei km 240…) war der erste offizielle Bäcker-Stopp in Königsbrück nicht mehr weit. Fatbike Joe alias Thomas führte – gepimpt mit Carbonfelgen und „den Schmalen“ 60er Rennrad-Slicks einer Chopper – durchweg die Gruppe an. Auch Jastus auf seinem edlen blauen Cannondale Cad 2 (!) und hydraulischen was-auch-immer-Bremsen rollte geschmeidig mit, wenn auch immer mit etwas zu niedriger Trittfrequenz. Denn: jeder Schaltvorgang erforderte einen beherzten Hand-Griff an den Rahmen. Gut also, dass es nicht andauernd auf und ab ging. Schaltzeiten wären hier auf den Tag gerechnet im Minutenbereich messbar gewesen. 

Wir wähnten uns in Königsbrück am Bäcker, doch auch der kurze Schlenker zur Anfahrt ums Örtchen herum war gespickt mit Highlights: alte Wald-Alleen, verträumte Pfade entlang kleiner Bäche und die Passage vorbei am alten Eisenbahn-Viadukt von Königsbrück. Dieser womöglich nur eine Kilometer Umweg fühlte sich an wie ein Kurzurlaub im Kurzurlaub. Strahlender Sonnenschein, Vorfreude auf Kaffee und Brötchen, Vogelgezwitscher…und eine schwarze Wand in naher Ferne.

Teil 2: April, April – Graupel, Schnee und Gegenwind

Nach einer ausgiebigen Einkehr im Café bei Sonnenschein überraschte uns eine schwarze Wand auf 12 Uhr. Nach nur sechs Minuten Fahrt begann ein hektisches An- und Umziehen der Obertrikotage: einmal wetterfest, bitte! Zum Glück kamen Hagel und Schnee statt steter Landregen: von Nässe außer an den Reifen und Unterrohren war also kaum etwas zu spüren. Nur froren die Hände kurz ab. Nach weiteren fünf Minuten fanden wir bei strahlendem Sonnenschein am „See der Freundschaft“ wieder zusammen. Diese Idylle: einfach traumhaft. Wir verweilten einige Minuten auf dem Steg und genossen Ruhe, Sonne und Ausblick. Km 45: check! 

Es knirschte von nun an durchweg in den Ketten und Ritzeln: sandiger Untergrund, welcher durch den Regen aber bestens fahrbar war, sorgte für Knarzen, Knirschen und Quietschen. Zu viel Wasser und kein Öl oder Schmiere in Sicht. Sei es drum. Dank der bestmöglichen Vorbereitung von…eigentlich Niemanden der Gruppe, erbarmte ich mich das Versteck zum Checkpoint #2 anzukündigen. Es wäre ja unverantwortlich gewesen die Herren im Sumpf umherirren zu lassen. Obwohl…Leider war das notwendige Notizheft für die Aufgabe verschollen oder verlustig gegangen. Oder ists einfach in den See gefallen? Schade, aber dann gings eben weiter ohne gereimte Zeilen.

Wir tangierten kurz die Königsbrücker Heide und fuhren nun, mehr oder weniger Luftlinie, zurück zur Elbe. Die Voraussicht: 35 km schönste Gravelroads und Waldautobahnen, jedoch gesäumt von kurzen Hagel-Schauern, starkem und unersättlichen Gegenwind. Dies Alles drückte trotz „Baller-Strecke“ ein wenig den Schnitt und die Motivation. Dennoch kamen wir gut voran und hatten – für den gesamten Tag – wohl die jeweils optimale Positionierung in der Wetterkarte. Wo auch immer ein Sonnenstrahl oder eine Wolkenlücke aufblitzte: wir waren vor Ort. So waren inneres Gezeter und voreilige Schlüsse über das vermeintlich „blöde Aprilwetter“ innerhalb weniger Minuten gegenstandslos. Die Herausforderung bestand also nicht im Bestehen vor den Elementen wie Wasser und Wind, sondern die zunehmende Nässe von unten zu ertragen. Alles war dreckig: wir sahen aus wie der Maler nach der Explosion eines Farbkübels, die Räder ebenso. Nass, trocken, nass, trocken, nass…

Teil 3: Drei Zinnen

Wir sind bei km 75 bereits kurz vor Dresden: wir brettern bereits durch den Moritzburger Wald auf altbekannten Rennstrecken zahlreicher „Gravelshots“ zur Vorbereitung auf die langen Grevet-Strecken. Zahlreiche Teiche, Seen und riesige Pfützen fliegen an uns vorbei. Auch durchqueren wir eine Unterführung wo sich, aufgrund des kurzen aber heftigen Hagels, ein großer Mob an Wander- und Trinkwütigen outdoor-Enthusiasten (Glühwein-Kanne, Schnapsnase und die neueste Kollektion von Mammut und Jack Wolfskin tragend) ansammelte. Da sich die grauen Wolken bereits wieder auflösten hatten wir den dritten Checkpoint am „Hohen Stein“ bereits im Blick und wiederstanden der Versuchung bei benannten party people wie auch einem darauffolgenden Ausschank des SV Elbland (SV = Sauf-Verein oder eher sotto voce – also „lieber halb als garnicht“ Sport?) einzukehren und unser vorzeitiges Ende zu besiegeln.

„Noch 10 min, dann sehen wir bereits die Elbe“ so der Tenor. Wir grüßten die Sonne erneut zum wohl 27. Male und begaben uns auf den bei Nässe etwas fordernden kleinen Wurzel-Trail zur Aussicht. Man kann sich nur wiederholen: es sind genau DIESE Momente und Minuten die diese Tour so ausgesprochen vielfältig und erlebnisreich machten. Klar: die Strecke wurde mit viel Erfahrung und bester Ortskenntnis liebevoll kreiert, die Landschaft fährt visuell alles auf was es für einen erfüllenden Frühjahrestag auf dem Rad braucht und die Abwechslung von Feld, Wald, Schatten und Licht, Fels und romantischem Tal ist kaum zu übertreffen. Doch all dies wäre nur Schall und Rauch, nur Zahlen aus 1 und 0 komprimiert in eine gpx-Datei wenn wir uns nicht bei unvorhersehbaren Bedingungen auf den Sattel geschwungen hätten. Der Einstand in den Gravel-Olymp MUSS doch alle Häkchen setzen, so kann es mit größerem Streckenumfang der Strecke #2 – #4 nur angenehmer, planbarer und somit noch schöner werden.

Coswig – km 80. Wir entscheiden uns gegen eine Supermarkt-Pause und für die Bosel-Baude (google sagt: geöffnet!) und fahren in Richtung schwarzer Wand. Doch Wunder geschehen auch diesmal: unsere überschwängliche gute Laune lässt das Unwetter gen Dresden abdrehen während wir bei Sonne dem Film „Twister“ nachspüren: vor uns eine Wand, hinter uns eine Wand – dazwischen: einfach nur schönste Gravel-Momente im Sextett. Mit dem Erreichen der Aussichtspunkte auf der Bosel gönnten wir uns eine ausgedehnte Mittagspause. Kaffee, Kuchen, Wiener Würstchen, Bratkartoffeln, Rührei und warmer Apfelstrudel füllten die leeren Speicher. Warme Sonnenstrahlen ermutigten nun auch die finalen 40 km durch romantische Täler ins Visier zu nehmen. Die letzten Kilometer waren mental durchaus fordernd: die ständige Konzentration auf die vom Regen geschundenen und aufgeweichten Wege machten die Zufuhr von Süßem nötig.

Teil 4: Schifffahrt mit drei „f“ – Fiel Fergnügen, Freunde!

Eine Seefahrt die ist lustig,
Eine Seefahrt, die ist schön,
Denn da kann man fremde Länder
Und noch manches andre sehn.

So heißt‘s schon im Kinderlied. Die Stimmung war (auch bedingt in gummitierartigem Doping durch Dr. Dope persönlich) am überkochen. „Nur noch 35 km..“ – na wenn das mal nicht nur die bekannte „Stunde Sieben“ dauert? Es war erst 15:30 Uhr, somit noch massig Zeit um zum Finale alles mitzunehmen. Wasserquerungen, nein: dutzende Wasserquerungen, lustige Foto-Aktionen und abermals Gummitierchen bei Sonnenschein ließen Freude und Quatsch freie Bahn. Mit dem finalen Checkpoint bei km 105, welcher das dokumentieren einer spritzigen Wasserfahrt beinhaltet, uferte es aus. Es wurde mehrfach so lange und so schnell durch den Bach gebrettert bis sämtliche Felgen und Unterrohre wieder wie ladenneu funkelten, oder zumindest fast.

Ein paar ruhige Asphalt-Kilometer durchs Prinzbachtal ließen die Beine dann regenerieren. Kleine Trails und tolle Aussichten auf das Elbtal und Dresden wähnten uns bereits vor den Toren der Stadt. Zunehmens versagte durch den Sand und Dreck die Bremse von Timo, was hier und da für einen notdürftigen Reparaturhalt sorgte. Rechtzeitig zum Stehen zu kommen wurde also zur Herausforderung für ihn. Bei finalen Versuch des Defekts Herr zu werden, exakt 13 km vor dem Ziel, ereilte uns das für späten Nachmittag angekündigte Unwetter. Hagel, Sturm, Regen und ein deutlicher Temperatursturz ließen uns teils unter der Autobahnbrücke, teils unter Vordächern verweilen und die Herbst-/Winterjacke wieder überstreifen. Die finalen Kilometer durch den Zschonergrund absolvierten wir mit musikalischem Bildungsauftrag: wann immer wir gedachten zu verzögern erklangen vielerlei Harmonien, Akkorde und zeitgenössisch anmutende Geräuschkulissen um nassen Kiesel, Wurzeln oder puren Schlammlöchern auszuweichen. Die Bremsen quietschen, schliffen, jammerten und kratzten dass man hätte das Rad lieber tragen oder via Septe über den unheilbringenden Matsch schweben lassen wollte. Sicher die Hälfte der Zeit verbrachten wir schiebend oder schnaufend, wurde das Sahnehäubchen zum erhofft sonnigen Grande Final des Tages zum dunklen Überzug mit Kakao und hölzernem Sperrgut. Wir nahmen die Herausforderungen des vor Regen und Matsch schwimmenden Tales mit Humor.

Kaum war der dunkle Grund zurückgelegt trafen erneut Gegensätze aufeinander: dunkelgrauer Himmel vor gelber, blendender Abendsonne. Es war einfach nur schön! Genüsslich rollten wir an die Elbe und zogen majestätisch über den „long walk“, ähnlich ausufernder Spazierwege in englischen Gärten weltbekannter Prunkschlösser, entlang des Ostra-Geheges in die Innenstadt ein. Am Zielpunkt Frauenkirche, neben dem Martin-Luther-Dankmal wirkten wir durchaus befremdlich. Zwischen Touristen mit Sonnenbrillen und schönstem Ausgeh-Zwirn an Dresdens ersten Adressen wirkten wir wie Waldmenschen auf der Suche nach einer verendeten Taube zum Abendbrot. Bratwurst, Schorle und Radler an der Touri-Imbissbude besiegelten unser Grevet #1 und wir waren uns einig: es war eine geile Zeit von Anfang bis Ende. Punkt.

Zum Grevet #2 ab Ende April sehen wir uns garantiert wieder wenn es heißt: Eisenbahnromantik mit dem „Pan Sax Transit“ auf 160 km und 2.200 Hm. Natürlich geschottert, nicht gerührt und mit Volldampf!

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