Nachruf auf Bengelio

Mit diesem posthum veröffentlichten Fahrbericht erinnern wir in tiefer Trauer an den passionierten Langstrecken-Radfahrer mit dem verschmitzten Spitznamen Bengelino. Bengelino kam Ende Februar ’23 viel zu früh bei einem sogenannten Dooring-Unfall in Berlin ums Leben. Sein Tod ist nicht nur für seine Familie und Freunde, sondern für die gesamte Radfahr-Community ein herber Verlust. Während seiner unzähligen Touren in der Region begeisterte er mit seiner freundlichen und humorvollen Art viele Menschen. Er war ein wahrer Gentleman, stets bereit anderen zu helfen und ein Lächeln auf ihre Gesichter zu zaubern. Sein Charakter und seine Persönlichkeit werden uns fehlen.

Wir von Grevet werden uns weiterhin für sichere Radinfrastruktur und bessere Verkehrssicherheit einsetzen, damit solche Ereignisse in Zukunft verhindert werden können. Mit großer Trauer und auch mit großer Dankbarkeit für die Erinnerungen, die er uns hinterlassen hat, nehmen wir Abschied von einem begeisterten Langstrecken-Radfahrer. Sein Vermächtnis möchten wir auch Form seines Fahrberichts weiterleben lassen. Seine Berichte hatte Bengelino uns zur Veröffentlichung zukommen lassen, jedoch kamen wir im letzten Jahr nicht immer hinterher mit den Berichtveröffentlichungen. Daher hatten wir ihm versprochen, dies in diesem Jahr zum Start der Serie nachzuholen. So sollten andere von seinen Erfahrungen profitieren können. Die Veröffentlichung erfolgt nun leider unter ganz anderen Bedingungen als erwartet, aber wir möchten seinem ausdrücklichen Wunsch nachkommen.

Ride in Peace Bengelino!

Bengelinos Bericht zum Grevet #1 Sagenlandschaft ’22 in Berlin

Wie so oft beginnen meine Touren irgendwann an kalten Winterabenden auf dem Sofa, beim Stöbern in den sozialen Medien oder in den Tiefen des Internets. So auch diesmal: ich entdecke gleich zwei mir unbekannte, aber sehr interessante Formate, die sogar halbwegs in meiner Nähe starten. Was macht man also in Erwartung des Frühlings? Man meldet sich sofort bei beiden an! Eine davon ist die Grevet-Serie (https://grevet.de), deren Routen und Stories aus 2021 durchaus Lust auf mehr machen.

Bengelino am Checkpoint

Beim Grevet bekommt man Routen zwischen 150 und 400 Kilometern zum Nachfahren zur Verfügung gestellt und muss auf diesen Routen innerhalb des Wertungszeitraums die verschiedensten Aufgaben erledigen.

Für mein erstes Grevet hatte ich mir eigentlich Gründonnerstag auserkoren. Einzig das Wetter wollte mir wohl mit Dauerregen und kalten Temperaturen einen Wink geben und nach Rücksprache mit der Familie, wurde der Start kurzerhand auf Samstag verschoben. Und so rolle ich in aller Frühe runter zum Bahnhof für meine Reise nach Ahrensfelde, die Autos sind alle weiß gefroren und die Temperatur liegt noch unter dem Gefrierpunkt — also auch wieder nichts mit kurz kurz, denn es soll zwar sonnig werden, aber nicht über 12 Grad gehen. Gegen 9:00 Uhr verlasse ich in Ahrensfelde die Berliner S-Bahn und rolle zum Startpunkt. Dort angekommen schnell noch Windjacke und Handschuhe angezogen und den zwei Jungs die sich ebenfalls startklar machen einen Gruß zugerufen. So gehts sogleich auf Feldwegen zwischen großen Windrädern entlang. Schon kurze Zeit später meldet mein Körper aber ein dringendes Bedürfnis an. So ein Mist denke ich, am Start war noch eine Tankstelle und anstatt dort nochmal prophylaktisch das Keramikmuseum aufzusuchen, musste ich ja unbedingt sofort losziehen. Jetzt habe ich den Salat und muss mir eine Möglichkeit für meine Biopause suchen, denn umkehren kommt natürlich nicht infrage und die nächste „offizielle“ Möglichkeit ist erst bei Kilometer 75 — unmöglich so lange auszuhalten. Also drehen sich die Gedanken nur noch um ein Thema und das ist nicht gerade angenehm. Mit bereits Tränen in den Augen entdecke ich den wohl von Gott gesandten Stuhl der Erlösung in meinem Falle aus blauem Kunststoff.

Endlich wieder fit genug, um mich um die wirklich wichtigen Dinge des Tages zu kümmern, steige ich wieder auf mein Pferdchen. Jetzt geht es endlich wieder gut voran und so taucht irgendwann der nächste Radler vor mir auf. Langsam hole ich auf und bin irgendwann auf gleicher Höhe. Es entwickelt sich natürlich sofort ein nettes Gespräch und so stellt sich heraus, dass Benedikt ebenfalls das Grevet fährt. Irgendwie ergänzen wir uns ganz gut und so werden wir den Rest des Tages gemeinsam verbringen, nur dass wir dies zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. Nach 18 Kilometern geht es darum, die erste Aufgabe zu lösen und in einem Windradfeld das richtige zu finden, um ein Selfie davor zu machen.

Die Aufgabe wird recht fix erledigt und weiter geht die wilde Fahrt immer schön auf tollen Feld- und recht bald auch Waldwegen. Immer wieder tauchen wir kurz aus der „Wildnis“ auf, um kleine verschlafene Brandenburger Dörfer zu durchqueren und sogleich wieder in die Natur abzutauchen. Bald fangen wir an nach der Lösung zur zweiten Aufgabe Ausschau zu halten und treffen dabei auf drei andere Teilnehmer. Die „Lösung“ wurde zwar entfernt (oder geklaut?), aber das wurde uns bereit vorher durch die Orga mitgeteilt. Also reicht ein Selfie samt Startbogen vom ehemaligen Standort, bevor es weiter geht.

Die anderen drei sind noch beschäftigt und so fahren Benni und ich nach ein paar netten Worten schon mal los und landen keine 100 Meter später auf einem Waldweg der aussieht wie frisch gepflügt. Anfangs graben wir uns noch durch, aber irgendwann hilft nur noch schieben. Ich meine noch das dies ja ziemlich frisch aussieht, nichtsahnend für welche Erheiterung dieser Abschnitt noch sorgen wird und wie nahe ich an der Wahrheit bin… Zum Glück endet das „Feld im Wald“ mit dem Überqueren der Bundesstraße und wir können fortan wieder auf „normalen“ Forstwegen unsere Reise fortsetzen. In Sternberg spuckt uns der Wald auf einem Museumsbahnhof aus und ich bewundere die alten Schienenfahrzeuge, die dort versammelt sind — Jim Knopf lässt grüßen. Benni ist von der flotten Sorte und sorgt so dafür das ich meine sonst manchmal ausufernden Fotopausen kurz halte. So ergänzen wir uns bisher recht gut, denn das Mittagessen am Scheitelpunkt der Tour ruft.

Es dauert nicht lang und wir landen an einem alten Atombunker aus DDR Zeiten der zeitgleich die nächste zu lösende Aufgabe für uns bereithält. Zum Glück sind diese finsteren Zeiten vorbei, denke ich noch und erschrecke kurz über die zwei Männer in voller Tarnung, die vor dem Gebäude anscheinend aufmunitionieren. Zu meiner Erleichterung lese ich noch den Hinweis auf eine Gotcha Area. „Was für eine Scheiße“ denke ich bei mir. Aufgewachsen hinter dem eisernen Vorhang war ich doch froh über die ursprüngliche Entwicklung Europas im Rahmen der EU, dem damit einhergehenden Wegfall der Grenzen und dem oft damit verbundenen — in meinen Augen gefährlichem wie sinnlosem — Nationalismus. Aufgrund der aktuellen Situation mache ich mir natürlich im Hinblick auf mein Kind und dessen Zukunft so meine Gedanken.

Benni weckt mich aus meinen Gesanken, schnell wird die anliegende Aufgabe gelöst und wir springen wieder auf unsere Rösser, die Pause ruft bereits nach uns. Beim Rausfahren noch ein kurzer Austausch mit den drei Grevetlern am Eingangstor und schon geht es wieder in den tiefen Wald. Die wilde Hatz spuckt uns in Sonneberg aus, wo schon das nächste zu lösende Rätsel auf uns wartet — beinahe wären wir daran vorbei gefahren.

Jetzt nur noch ein kurzes Stück, dann taucht die Waldschänke vor uns auf, auf die wir uns so gefreut haben. Es wurde nicht zu viel versprochen. Die Auswahl ist riesig und der Service top. Wir bestellen einen gigantischen Kaiserschmarrn, welchen wir uns teilen werden und setzen uns zu den beiden Jungs, denen ich bereits heute Morgen am Start begegnet bin. Wir tauschen uns über die Strecke aus und loben das Scouting, denn die Strecke ist bisher wirklich klasse. Unweigerlich kommen wir auf den umgepflügten Forstweg zu sprechen und zur Belustigung aller Anwesenden stellt sich heraus, dass nur einige Minuten vor unserer Ankunft dort, der Waldbesitzer einem cholerischem Anfall zum Opfer gefallen sei und laut schimpfte auf all die bösen Touristen / Berliner / etc., da diese angeblich in seinen Wald scheißen würden. Denen wolle er es jetzt zeigen, indem er mit seinem Trecker kurzerhand den Weg umpflüge. Sein Sohn soll sich übrigens fremdschämend weggedreht haben.

Wir genießen währenddessen den super Kaiserschmarrn und Benni meint noch zuversichtlich, die restlichen 75 Kilometer in den nächsten drei Stunden absolvieren zu wollen. Leise melden wir Zweifel an. Inzwischen ist es auch richtig voll geworden und fast im Minutentakt kommt ein neuer Grevetler vorbei, um uns zu fragen, ob uns der gefundene Bidon oder der aufgefundene Verifikationsbogen gehört. Nur Tennishandschuhe befinden sich nicht darunter.

Beim Aufbruch bewundern wir noch die Masse der inzwischen vor der Waldschänke parkenden Räder, wobei wir noch einen kurzen Schnack mit einem schnell aussehendem Einzelfahrer halten, der kurz darauf im Wald entschwindet und wir machen es ihm im Quartett nach. Ab jetzt geht es auf losem Waldboden immer auf und ab und ich bin froh über meine breiten Schlappen, mit denen ich das ein oder andere Hindernis einfach überrollen kann. Es dauert nicht lange und wir sind wieder zu zweit, da die beiden anderen Jungs ordentlich Tempo machen und uns so hinter sich lassen. Das permanente Auf und Ab, sowie das immer wieder auftauchende grobe Pflaster kosten Zeit und vor allem Körner. Irgendwann sehen wir die zwei Jungs (ich hätte auch mal nach eurem Namen fragen können) am Wegesrand stehend, mit einem Ersatzschlauch jonglierend stehen. Kurzer Austausch, ob alles benötigte vorhanden ist, oder Hilfe benötigt wird, dann ziehen Benni und ich nach deren Verneinung weiter. Sturmbedingt gibt es immer wieder Passagen, wo wir mit den Rädern auf den Schultern über die quer liegenden Bäume klettern. Kurz darauf erreichen wir den vorletzten Checkpoint, jetzt fehlt nur noch der letzte und der liegt natürlich oben auf einem Hügel.


Da sag mal noch einer, in Brandenburg gäbe es keine Berge! Sie mögen vielleicht nicht besonders hoch sein, dafür haben sie steile knackige Anstiege auf feinsten Brandenburger Sand. Rückblickend bin ich sowohl den Brocken, als auch den Fichtelberg gefühlt leichter hochgekommen — aber man verklärt ja im Nachhinein so einiges. Beim runterrutschen kommt uns übrigens unsere Mittagsbekanntschaft entgegen.

Wir beide hoffen nun auf ein baldiges Auftauchen aus dem Wald, um dann auch wieder das Tempo erhöhen zu können. Denn inzwischen nähert sich der Abend in großen Schritten und damit die Kälte. Unser Wunsch geht nicht viel später in Erfüllung und wir tauchen aus dem Wald auf und in die Felder und damit verbundenen Windradanlagen ein. Der Wind ist uns gesonnen, sodass wir das Tempo gut erhöhen können. Benni erwähnt zwischenzeitlich, dass er vormittags Zweifel gehabt hätte an mir dran bleiben zu können, was ich kaum glauben kann und sich zwischenzeitlich auch gedreht hat: denn jetzt ist Benni die Lok, die voranmarschiert und der ich folge. So nähern wir uns dem Ziel und freuen uns über jeden Meter Asphalt unter den Reifen. Denn den gab es wie versprochen sehr selten und dann auch immer nur ganz kurz.

1500 Meter vor dem Ziel erwischt der Pannenteufel auch uns noch und Benni hat ein plattes Hinterrad. Schnell wird ein neuer Schlauch eingezogen und als wir wieder startklar für die letzten Meter sind, taucht unsere Bekanntschaft aus der Waldschänke auf. Der eine mit geflicktem Reifen und der andere mit einem zum Singelspeed umgebauten Rad.

Gemeinsam fahren wir über die Ziellinie und loben die Streckenführung, sind aber dennoch froh es nun geschafft zu haben und die müden Beine im Zug ausruhen zu können. Das Zielbier muss leider warten, da der Servicepoint bereits geschlossen hat. Schön war es und inzwischen kann ich mich auch schon wieder auf den nächsten Grevet über 200 km freuen — vielleicht ja wieder mit so toller Begleitung wie heute.

Kommentare

2 Responses

  1. Wie traurig, das lesen zu müssen! Ich erinnere mich noch an den kurzen netten Schnack mit ihm, dort wo das zweite Rätsel war und das Schild fehlte. Danke, dass Ihr seinen Bericht veröffentlicht habt.
    Möge die Erde ihm leicht sein.

  2. Danke Bengelino,
    eine sehr schöne Geschichte! auch wenn wir uns nicht begegnet sind hat sie meine eigene Erinnerung aufgefrischt. Um so trauriger macht es mich, das Du ab diesem Jahr nicht mehr dabei sein wirst.
    In meinem Gedanken werde ich versuchen Dich mit auf die Piste zu nehmen.
    Ruhe in Frieden!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert